Das Kaninchen im Gottesdienst

Ein Beitrag zum Experiment "Meine Heilige Schrift"

Warum glauben? Warum seine Hoffnung an etwas hängen, das man letztlich nicht fassen, nicht festhalten kann? Klaus Neumann hat noch zu seiner Schulzeit im Gottesdienst eine erstaunliche Antwort darauf erhalten, an die ihn sein Bibelzitat immer wieder erinnert.


Da gingen den beiden Jüngern die Augen auf und sie erkannten Jesus; dann sahen sie ihn nicht mehr.

Lukasevangelium 24,31


Für mich ist die Emmaus-Geschichte (Lukasevangelium 24,13–33) ein Sinnbild für den Charakter unseres christlichen Glaubens: Die Jünger sind auf dem Weg, vielleicht im übertragenen Sinn auch auf der Suche, und machen eine Erfahrung, die ihr weiteres Leben verändern wird. In der Begegnung mit der Person, die sie später als den Auferstandenen deuten, wird klar, dass ihr Hoffen nicht unrealistisch ist, dass ihre Trauer und Mutlosigkeit nach dem Kreuzestod Jesu in Hoffnung und Zuversicht verwandelt werden können. Warum die Einschränkung? Ganz einfach: Als die Jünger in dem Mitreisenden den Auferstandenen erkennen, entschwindet er ihren Blicken. Er ist da, lässt sich aber nicht festhalten, geschweige denn fassen – ganz analog zur berühmten Aussage Dietrich Bonhoeffers: „Einen Gott, den ‚es gibt’, gibt es nicht“.

Warum dennoch glauben? Warum seine Hoffnung an etwas hängen, was man letztlich nicht fassen, nicht beweisen, nicht zementieren kann?

Meine Antwort auf diese Frage wurde unter anderem in einem Ostergottesdienst beantwortet. Ich war noch Schüler und landete zu Ostern in einem Familiengottesdienst der Nachbargemeinde, den der Kaplan vorbereitet hatte. Ein Osterei stand auf dem Altar. Das war nicht besonders überraschend. Es gab aber auch noch eine größere Pappkiste, die mit einem Deckel verschlossen war. Die Kinder sollten raten, was denn wohl in dieser Kiste befände. Dem Anlass entsprechend kam rasch als Antwort: „Ein Hase!“ Der Kaplan ließ sich nicht beirren und fragte zurück, ob sich die Kinder vorstellen könnten, dass er ein Tier in den Gottesdienst mitbringen und es dazu noch neben den Altar stellen würde – schließlich sei es ja auch nicht üblich, Hunde oder Katzen dabeizuhaben.

Einige Kinder zweifelten, andere ließen sich nicht beirren und forderten nun den Kaplan auf, das Rätsel zu lüften, also den Karton zu öffnen. Das Erstaunen, übrigens auch bei den Erwachsenen, war riesig, als der Kaplan aus der Kiste tatsächlich ein Kaninchen zog. Damit hatte offensichtlich die Mehrheit der Gottesdienstbesucher nicht gerechnet ...

In der sich anschließenden kurzen Ansprache machte der Kaplan dann klar, dass Glauben auch darauf beruht, dass man sich einlässt, das schier Unmögliche nicht auszuschließen, weil nur so Gott eine Chance hat, in unser Leben zu kommen und dort wirksam zu werden. Zweitens wies er darauf hin, dass die Gotteserfahrung auch von uns weitergegeben werden muss: Wir können auch deshalb glauben, weil unsere Vorfahren es getan und diesen Glauben weitergegeben haben. „Erzählt also von dem Kaninchen im Gottesdienst“ – so oder so ähnlich endete die Predigt.

Wie gut, dass die Emmaus-Jünger offensichtlich nicht über ihre Erfahrungen geschwiegen haben ...

Einsender
Name: Klaus Neumann
Alter: 54 Jahre
Ort: Hildesheim