Mein Gott, wo warst Du?

Naturkatastrophen, Unfälle, Kriege oder schlimme Krankheiten – immer wieder müssen Menschen unermessliches Leid erdulden. Warum schreitet Gott nicht ein? Wie vertragen sich diese Katastrophen mit unserem Bild vom gütigen Gott?

Brennende Teelichter

Dass Blut und Tränen fließen, dass Menschen unter Schmerz, Trauer und Verzweiflung zusammenbrechen, lässt viele an der Menschenliebe Gottes zweifeln. Sieht Gott etwa weg, wenn etwas Schlimmes passiert? Die Frage, wie die Allmacht Gottes und das Leid zusammen gedacht werden können, haben sich die Menschen in der Geschichte immer wieder gestellt. Atheisten nehmen das Fehlen einer vernünftigen Antwort darauf als Beweis dafür, dass es Gott nicht gibt.

Der evangelische Bischof Wolfgang Huber widerspricht einer solchen Deutung. Nach der Tsunami-Katastrophe 2004 mit hunderttausenden Toten in Südostasien schrieb er in einem Essay, durch ein solches Ereignis werde nicht die Allmacht Gottes, sondern die Allmachtsvorstellung des modernen Menschen in ihre Schranken gewiesen. „Gottes Allmacht kann man sich nicht so vorstellen, dass Gott alles Böse und Unbegreifliche im Vorhinein aus dem Lauf der Dinge herausschneidet. Gottes Allmacht zeigt sich in der Liebe, mit der er sich uns Menschen zuwendet, damit wir uns auch angesichts des Unbegreiflichen an ihr orientieren.“

In der Theologie wird der Versuch, die Allmacht und Güte Gottes angesichts unschuldigen Leidens in der Welt zu rechtfertigen, als Theodizee bezeichnet. Der Begriff leitet sich vom griechischen „theos“ (Gott) und „dike“ (Gerechtigkeit) ab und stammt vom deutschen Philosophen Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1716).

Der TV-Journalist Peter Hahne hat über die Theodizee-Frage einen Bestseller geschrieben („Leid – warum lässt Gott das zu?“). Für den studierten Theologen verbirgt sich hinter der Frage, warum Gott das Leid zulässt, auch eine Ausrede des Menschen, der sich aus seiner Verantwortung stehlen möchte. Ihn ärgere, wie schnell die Menschen Gott zum Sündenbock machten, ohne nach menschlicher Schuld zu fragen. „Oft tun das gerade die Menschen, die sonst wenig von Gott halten, die ihn für ihr Leben nicht zu brauchen glauben. Nur, wenn etwas schiefgeht, suchen sie sich den aus, der sich am allerwenigsten wehren kann, wenn man ihm die Schuld in die Schuhe schiebt.“

„Die Frage nach dem Leid ist ein Stachel in unserer Gottesvorstellung“

In der Bibel beschäftigt sich ein ganzes Buch mit der Frage des Leides. Hiob ist die Hauptgestalt des gleichnamigen alttestamentlichen Buches: ein Gottesgläubiger, dessen Frömmigkeit und Gerechtigkeitsempfinden durch furchtbare Leiden hart geprüft werden. Er verliert seine Familie und sein Hab und Gut. Hiob empfindet so tiefes Leid, dass jeglicher Versuch, dem einen Sinn beizugeben, nicht funktioniert. Also klagt er Gott an und bekennt sich gleichzeitig gläubig zu ihm. Am Ende stellt Gott ihm seine Familie und seinen Besitz wieder her. Ungeklärt bleibt allerdings, woher das Leid kommt, worin es seine Ursache hat.

Das zeige, dass wir als Menschen in den göttlichen Ratschluss letztlich keine Einsicht haben, dieser Gott aber trotzdem der Einzige ist, von dem die Gerechtigkeit kommen kann und in den wir unsere Hoffnung setzen können, argumentiert Marie Kajewski. Die für das Bistum Hildesheim tätige Theologin und Philosophin hat sich intensiv mit der Theodizee-Problematik auseinandergesetzt

Die Frage nach dem Leid sei ein Stachel in unserer Gottesvorstellung, die keine eindeutige Antwort zulasse und eine offene Wunde in der Gottesfrage bleibe. „Die Antwort liegt zum gewissen Maße im Aspekt menschlicher Freiheit. Gott hat uns als freie Wesen erschaffen. Wir dürfen tun, was wir möchten, und sind befähigt zum Guten wie zum Bösen. Zum gewissen Teil ist Leid also menschliches Ausnutzen von Freiheit hin zum Bösen“, sagt Kajewski.

Das treffe allerdings nicht auf alles Leid zu. Eine Naturkatastrophe etwa könne auch ohne menschliches Zutun entstehen. Marie Kajewski empfiehlt, weniger nach dem Sinn im Leiden zu fragen als vielmehr danach, wie man sich im Angesicht des Leides am besten verhält.

Eine Antwort darauf bot der damalige Präses der Evangelischen Kirche in Deutschland, Nikolaus Schneider, vor ein paar Jahren während einer Predigt am Karfreitag an: „Wir können – traurig und getrost zugleich – miteinander weinen und uns gegenseitig trösten. Wir können uns an unsere Brust schlagen und in unserer Alltagswelt das uns Menschen Mögliche tun, um neues Leiden und neue Kreuze zu verhindern.“

Der katholische Theologe Robert Spaemann rät Christen, Gott auch in der größten Not zu vertrauen. „Vertrauen – das ist das A und O des Glaubens“, sagte er in einem Gespräch mit einer Wochenzeitung. Es sei auch erlaubt, mit Gott zu hadern und zu ringen, wie es in den Psalmen des Alten Testaments zum Ausdruck komme, betonte Spaemann. „Oft macht der Psalmist, der Gott anruft, Gott gegenüber Gott geltend. Er sagt: Du bist Gott, das impliziert Verpflichtungen. Wir können zwar nicht genau sagen welche, aber wir müssen vertrauen, dass er auch tun wird, was er sich selbst schuldig ist.“

Von Matthias Bode | Dieser Text erschien zuerst 2012 im Jes-Magazin Braunschweig