„Du stellst meine Füße auf weiten Raum“ (Psalm 31,9)

Seminar Schöpfungsspiritualität - 3 Tage entdecken, spüren und auftanken im Klosterwald Loccum

Waldbaden, Klangschalen, Gottesdienst im Grünen und Qigong. Mit alten spirituellen Methoden kommen wir uns und der Natur wieder näher und können Kraft tanken. Das tut gut – aber wieso brauchen wir sowas als Kirche?

Gleich dürfen wir durch das Eingangsportal zum Klosterwald treten. Von da an werden wir schweigen. Und, wir bekommen noch eine Aufgabe: „Such deinen Grünton und bring ihn mit.“ Es fühlt sich an, wie ein Ausflug vor langer Zeit in der Kindheit.

Doch bevor wir losgehen, werden wir noch eingestimmt: Wir stehen im Kreis auf der Wiese vor dem Kloster Loccum und haben die Augen geschlossen. Die ruhige Stimme von Uwe Habenicht führt uns durch die langsamen Bewegungen, die mich an Tai-Chi erinnern. Der Theologe ist einer der Referenten und Referentinnen des 3-tägigen Seminars „Laboratorium Schöpfungsspiritualität“, zu dem das Umweltteam des Bistums Hildesheim eingeladen hat.

Ich kann mir die Verse und die Bewegungen nicht richtig merken - zu schön ist es gerade hier einfach im Kreis zu stehen: Es ist noch etwas kühl Ende April, aber ich spüre die Wärme der Sonne in meinem Gesicht und auf meinen Händen. Stieglitz und Buchfink singen irgendwo um uns herum und nebenan gluckst das Wasser beim Einfließen in den Klosterteich. „Alles in dir Gott und du im Allem. Die Kräfte des Himmels und der Erde. Wir begrüßen dich, Frühling, mit all deiner Fülle“, dringt es zu mir durch. Und dann bin ich plötzlich doch wieder hellwach, als uns Uwe Habenicht auffordert, nun die Bewegungen allein durchzuführen. Aber meine Sorge ist unbegründet. „Ihr müsst nicht die exakten Bewegungen und Worte kennen. Das passiert von allein. Macht es einfach intuitiv so, wie euch eure eigenen Worte und Bewegungen in den Sinn kommen“, beruhigt uns Habenicht. Und er hat recht. Alles kommt, was kommen sollen und die Bewegungen werden wieder freier und mein Atem wieder ruhiger.

Apropos Atem: „Spiritualität geht auf das lateinische Verb spirare zurück und heißt atmen“, sagte uns Dr. Elisabeth Steffens bereits bei ihrer Begrüßung der Teilnehmenden heute Morgen.  „Und durch unser Atmen sind wir permanent mit unseren Mitgeschöpfen verbunden. Der Mensch gehört also zu einem großen Ganzen – zu Gottes Schöpfung.“ Die Schöpfungsspiritualität sei damit ein Kern christlichen Glaubens und so alt wie unsere Religion selbst. Die Lateinamerikanistin Elisabeth Steffens ist Referentin für Schöpfungsspiritualität und gehört zum interdisziplinären Umweltteam des Bistums Hildesheim, das beim Nachhaltigkeitsziel Schöpfungsgerecht 2035 unterstützt. Ein Ziel des Seminars im Klosterwald sei es, den Raum der Natur wie gewohnt, aber auch neu oder anders zu erleben. „Und wir wollen uns fit machen und auch Kraft und Hoffnung tanken, damit wir uns für Gottes Schöpfung einsetzen können.“ So sei dann auch der Psalm 31,9 (LUT) Titelgeber für das Seminar. „Du stellst meine Füße auf weiten Raum.“ In ihm wendet sich der Bedrängte Gott zu und es öffnen sich für ihn neue Perspektiven und neue Möglichkeiten.

Wieder zurück auf der Wiese und zu Uwe Habenicht: „Es braucht nicht viel“, sagt der Theologe, der auch Gründer der St. Galler Waldkirche ist. „Es reicht ein Impuls, zum Beispiel, indem wir den Teilnehmenden eine Aufgabe geben, einen Rahmen, in dem sie loslassen und zulassen können. Es ist wie eine Vereinbarung darüber, dass wir jetzt in einen neuen Raum treten. Sozusagen das Eingangstor zu einer anderen Welt, zu einem anderen miteinander. Und das machen wir auch in der Waldkirche.“ Mit dazu gehöre neben einem einführenden Psalm auch das Sharing, also das Teilen, sagt Habenicht noch. Und dann dürfen wir endlich in den Wald.

Was der Theologe mit Sharing meint, wird uns klar, als wir an unserem Zielort im Wald ankommen. Über uns wiegen sich die hellgrünen Blätter der Buchen, unter uns ist der weiche Boden mit Blättern aus dem letzten Herbst und frischen Moospolstern bedeckt und ganz in der Nähe klopft ein Specht. Auch hier spannt Uwe Habicht einen Rahmen auf – diesmal aus kleinen Stöckchen auf dem Waldboden. Fast andächtig legen wir unsere gefundenen Grüntöne hinein: Die silbergrünen Härchen am Rand der jungen Buchenblätter, ein gezacktes gelbgrünes Blättchen einer Hainbuche, aber auch die dunkleren, eher blaugrünen Blätter vom Efeu, Ilex oder Buschwindröschen. Während wir unsere gesammelten Schätze hinlegen, teilen wir den andern mit, warum wir diesen Grünton ausgesucht haben oder wiederholen das Gesagte aus der Gruppe.  Und mit der Zeit stellt sich ein vertrauensvolles Verbundensein – eine Art Schwarmgefühl ein.

Alte Zisterzienser Weisheit: Im Wald kannst du mehr lernen als in Büchern.

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Am nächsten Morgen um neun steht Waldbaden auf dem Programm. „Glaube mir, ich habe es erfahren, du wirst ein Mehreres in den Wäldern finden als in den Büchern: Bäume und Sträucher werden dich lehren, was kein Lehrmeister dir zu hören gibt.“ Mit diesem 1000 Jahre alten Zitat des Zisterzienser Mönches Bernhard von Clairveaux begrüßt uns der Referent Pit Saaler. Er ist evangelischer Pfarrer und zertifizierter Anleiter für Waldbaden.  Auch Pit Saaler gibt uns einen Rahmen: Diesmal ist es ein weißes Passepartout, durch das wir den Wald betrachten können. Auch bekommen wir eine Lupe oder einen Spiegel.  „Wow“ – ruft einer der Teilnehmenden begeistert, als er mit der Lupe die zerfurchte Rinde eines Nadelbaums betrachtet. „Guck dir das an. Das sieht aus wie eine tiefe Felsspalte, eine Höhle. Da würde ich gerne eintauchen und mich umsehen.“

Und genau darum geht es beim Waldbaden oder japanisch auch „Shinrin Yoku": In die Atmosphäre des Waldes eintauchen, wieder zur Ruhe kommen und die Natur mit allen Sinnen entdecken. „Und dabei ist der Wald wie ein Spiegel, in dem du Gott finden kannst“, sagt Pit Saaler.

Der Kranich schüttelt sein Gefieder – und lockt einen Seeadler an

Drei Stunden später verbinden wir uns dann mit dem Qi in uns und in der Natur. Der chinesische Begriff Qi lässt sich mit Atem, Kraft oder auch Atmosphäre umschreiben. Qigong ist eine sehr alte Tradition der Lebens- und Selbstfürsorge. „Durch diese Meditation- und Bewegungsübungen haben sich schon vor mehreren tausend Jahren chinesische Meister fit und gesund gehalten, um ein langes Leben anzustreben“, erzählt uns Dr. Barbara Wildeboer. Sie ist Biologin, Qigong-Lehrerin und Pilgerbegleiterin. In die Übungen seien bereits damals sehr viele Beobachtungen aus den Bewegungen in der Natur eingeflossen.

So imitieren wir dann auch wenig später mit dem Heben und Senken der Arme „Das Öffnen der Lotusblüte“. Und gleich danach ist unsere Koordinationsfähigkeit gefordert, als „Der Schwan in den Morgen gleitet“ und wir beim Gehen die rechte und linke Hand unterschiedlich Öffnen und Schließen sollen. Beim „Schütteln des Gefieders des Kranichs“ scheinen wir dann schon sehr nah an dem natürlichen Vorbild zu sein, denn in diesem Moment fliegt rufend über uns zwar kein Kranich, aber zu unserer Begeisterung ein Seeadler hinweg. Zum Abschluss beten wir noch gemeinsam das Vaterunser in die Qi Gong Bewegungen hinein.

Klangmediation – nicht mit Worten, sondern von Klängen geleitet

Und dann machen auch wir noch einen Ausflug: Eine Klangreise. „Gonnnnnng“. Der Ton halt lange nach und in den verebbenden Klang werden vorsichtig und behutsam andere Töne geschlagen - höhere und tiefere, manche verklingen schnell und manche dauern lange an. Der ganze Raum ist erfüllt und es schwingt und halt in meinem ganzen Körper nach.

Ich sitze mit einem Teil der Teilnehmenden im Schneidersitz auf dem Boden des Seminarraums im Kloster. Vor uns stehen Klangschalen aus Messing in verschieden Größen – manche so klein wie Dessertschälchen und andere so groß wie Salatschüsseln. Mit filzbezogenen Holzklöppeln schlagen wir vorsichtig gegen unsere Schalen – abwechselnd und dabei immer im Blickkontakt mit den anderen Spielenden und immer lauschend, um genau abzuwägen, wann es wieder passt, in das Klangkonzert einzustimmen. Und nicht zu laut, um die anderen Kursteilnehmenden, die sich mit geschlossenen Augen in unsere Mitte gelegt haben, nur so behutsam zu „betönen“. Zu der Klangreise eingeladen hat die Theologin und Klangtherapeutin Veronika Heid-Lachenmaier. Sie arbeitet selbst regelmäßig mit den Klangschalen und stellt immer wieder fest, wie gut Klang und Vibrationen vielen Menschen tun und wieviel dabei in ihnen in Bewegung kommt. „Ich arbeite auch mit Bewohnerinnen im Hospiz. Und selbst gerade da, erlebe ich, wie gelöst die Menschen nach der Klangtherapie sind.“

Und was sind jetzt deine Highlights aus dieser Basilika mit Blätterdach?

„Stell dir vor, du bist Fremdenführerin oder Fremdenführer. Welche Besonderheiten möchtest du nun den Besuchenden in dieser Basilika mit Blätterdach zeigen?“ Es ist Mittwochmorgen halb zehn und mit dieser Frage schickt uns Dr. Inga Kalinowski wohl zu einem letzten Mal in den Klosterwald auf die Suche. Die Referentin ist Theologin und Gründerin der Grünen Gemeinde in Hannover. Einmal im Monat treffen sich die Mitglieder im Stadtwald Eilenriede, um dort unter den Bäumen „einen Gottesdienst im weiteren Sinne“ gemeinsam zu veranstalten. „Inspiriert hat uns dazu Papst Franziskus, der in Laudato si´ über die Gegenwart Gottes in der Schöpfung sagt, dass wir Gott nicht nur in einer Kirche aus Stein, sondern auch in der Natur begegnen.“

Die Kuckuckspfeife von Inga Kalinowski holt uns nach 10 Minuten wieder zurück und wir berichten uns gegenseitig: Da gibt es einen verfallenden Baumstumpf, der an einen Altar erinnert und mit Flechten und Sternmoos bewachsen ist. Und im Seitenschiff der Kirche müsse man sich unbedingt das Kreuz Jesu angucken, dass aus zwei kaum noch erkennbaren liegenden Ästen besteht. Außerdem gäbe es eine Wildschweinsuhle. „Die sieht aus wie ein Taufbecken. Und es zeigt uns, dass nicht nur Menschen in diese Basilika kommen und an der Liturgie teilnehmen“, berichtet eine Besucherin.

 „So wird unser Wald zu einer Basilika, zu einem weiten Raum, in dem jedes Geschöpf etwas von Gott widerspiegelt. Ein Ort, an dem wir wieder zu Ruhe und ins Gleichgewicht kommen können, denn hier können wir auch alle Beziehungsebenen des menschlichen Seins finden, wie auch Papst Franziskus sie in Laudato si` beschreibt: Die Beziehung zu Gott, zum Nächsten, zur Erde und zu uns selbst. Und alle Ebenen beeinflussen sich und sind miteinander verbunden und aufeinander bezogen." Mit diesen Worten von Inga Kalinowski und einem Fürbittengebet schließt dieser kleine Ausflug in die Grüne Gemeinde.  

Und dann ist es doch zu Ende das Laboratorium Schöpfungsspiritualität im Klosterwald Loccum, indem wir verschiedene spirituelle Methoden ausprobieren konnten, um genau das zu tun: In Gottes Schöpfung einzutauchen, Neues zu erfahren und wieder mit uns und unserer Mitwelt in Kontakt zu kommen. Und nach diesen 3 intensiven Tagen bleibt für viele Teilnehmende: Es sind genau diese Beziehungen, aus denen wieder Kraft, Hoffnung und auch Fürsorge entstehen können. Und das sei doch etwas, was wir in dieser krisengeschüttelten Zeit alle gut gebrauchen können und wo Kirche ein großes Potential hat. Oder um es mit den Worten einer teilnehmenden Ordensschwester zu sagen: „Ich habe mich gefühlt wie im Dschungelcamp. Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal so lange draußen war – und das nimmt so eine ganz andere wunderbare Stimmung in mir an.“

Frauke Stockhorst

Unsere Referentinnen und Referenten vom Laboratorium Schöpfungsspiritualität:

Uwe Habenicht, Theologe & Gründer der St. Galler Waldkirche. Weitere Infos: WaldGwunder; Kontakt: Pfarrer Uwe Habenicht, Reformierte Kirchgemeinde Straubenzell, Zürcherstrasse 217, 9014 St. Gallen, Schweiz. Telefon: 044 71 311 16 11, uwe.habenicht(ät)straubenzell.ch

Veronika Heid-Lachenmaier, Theologin & Klangtherapeutin.

Dr. Inga Kalinowski, Theologin & Gründerin der Grünen Gemeinde. Weitere Infos: www.gruenegemeinde.de  Kontakt: info(ät)gruenegemeinde.de 

Pit Saaler, evangelischer Pfarrer, TZI-Lehrer & zertifizierter Anleiter für Waldbaden. Unter dem Leitwort "Gott unter Bäumen" bietet er "Spirituelles Waldbaden" als Konkretion ökologischer Theologie an. Kontakt: Pfarrer Pit Saaler, Ostergasse 39, 55291 Saulheim. pit(ät)gott-unter-baeumen.de.

Dr. Barbara Wildeboer, Biologin, Pilgerbegleiterin & Qigong-Lehrerin. Kontakt: Telefon 0171 8502139, 3.Klang(ät)gmx.de