„Und wir sehen, dass es sich lohnt“
Wenn die Kirche kühl bleibt – aber die Sitzbank warm
Gebannt starrt Ronja Maatmann auf die zwei Monitore und verfolgt die rosa, blauen oder grünen Linien, die im Zickzack auf- und absteigen. Es sieht hübsch aus – ein bisschen wie ein buntes EKG. Aber hier in der Abteilung Bau des Bischöflichen Generalvikariates werden keine Herzströme dokumentiert. Was ist es also dann? Und was hat das mit Klimaschutz zu tun?
„Das sind Messungen aus der Kirche St. Ludgeri in Helmstedt. Damit können wir genau verfolgen, wie warm und wie feucht es im Innenraum der Kirche ist“, sagt Ronja Maatmann. Die Ingenieurin ist seit diesem Sommer im Umweltteam des Bistums Hildesheim. Gemeinsam mit ihren Kollegen im Technischen Gebäudemanagement kontrolliert sie die Temperatur und Feuchtigkeit in den Kirchenräumen des Bistums. „Das ist wichtig, denn wenn es zu feucht ist, könnten der Bau, die Kirchenorgel oder die Altarbilder Schäden bekommen.“
Gerade seit der letzten Heizperiode haben sich viele Gemeinden entschlossen, an diesem Monitoring teilzunehmen. Angesichts der Energiekrise hatte das Bistum Hildesheim zum Energiesparen aufgerufen und Handlungsempfehlungen für Kirchen- und Gemeindehäuser erstellt.
„Ein großer Kirchenraum benötigt viel Energie, um warm zu werden. Außerdem verliert die Kirche sehr viel Wärme über die ungedämmten Wände und Fenster. Für die Kirchen empfehlen wir daher sie kühl zu lassen und die Grundtemperatur auf mindestens 9 Grad Celsius zu senken", erklärt die Ingenieurin. Dabei muss aber die Feuchtigkeit im Kircheninneren beobachtet werden. „Und dafür gibt es dann uns“, sagt Ronja Maatmann.
Sechs digitale Messfühler hatten Kollegen des Technischen Gebäudemanagements dafür in der Kirche St. Ludgeri in Helmstedt versteckt: im Altarraum, im Seitenschiff, am Beichtstuhl, direkt am Eingang und an einer Bank rechts in der Kirche. Maatmann zeigt auf zwei längere rosa Zacken, die aus dem sonstigen kleineren Auf- und Ab der Linien herausstechen: „Hier - an diesen 2 Messzeitpunkten ist die Feuchtigkeit am Eingang der Kirche sprunghaft angestiegen.“ Die Ingenieurin guckt auf das Datum und lächelt. „Ach so, ja klar, das war Weihnachten – da kommen dann die vielen Besucher:innen der heiligen Messe vorne mit nasse Schuhen rein oder lassen feuchte Schirme im Eingangsbereich stehen“. Wenn es dann nur bei einigen Ausreißern bleibt, ist das kein Problem. Kritisch wird es, wenn sich die Luftfeuchtigkeit in der Kirche dann über einen längeren Mess-Zeitraum in einem zu hohen Bereich einpendelt.
Die Messungen zeigten im letzten Winter ein sehr unterschiedliches Bild. Bei den meisten Kirchen blieb die relative Luftfeuchtigkeit in einem unbedenklichen Bereich. Es gab jedoch auch ein paar Kirchen, bei denen stieg die relative Luftfeuchtigkeit an.
„Jedes Kirchengebäude verhält sich anders, daher müssen wir dann ganz genau gucken – woher kommt die Feuchtigkeit? War die Kirche vorher schon feucht? Muss anders gelüftet werden? Reicht ein Erhöhen der Raumtemperatur? Das sind dann Fragen, die wir uns gemeinsam mit den Gemeinden und Fachplaner:innen angucken und individuelle Lösungen finden“, erläutert Ronja Maatmann.
Zurzeit arbeiten die Bauabteilungen der Bistümer und Erz-Bistümer wieder an Empfehlungen zum verantwortungsbewussten Temperieren der Kirchengebäude. Denn die Kosten für Gas, Öl oder Holzpellets sind weiterhin hoch und bleiben es durch den steigenden CO2-Preis auch in den nächsten Jahren.
„Energie einzusparen, schont weiterhin unseren Geldbeutel und hilft uns unsere Klimaziele zu erreichen“, sagt Diplom-Ingenieur Martin Spatz. Der Innenarchitekt ist Leiter des Teams Technisches Gebäudemanagement / Klimaschutz und leitet in Doppelspitze mit dem Umweltbeauftragten Dr. Dr. Dirk Preuß das im Sommer gegründete Umweltteam des Bistums Hildesheim. „Die günstigste Energie ist die Energie, die wir gar nicht erst verbrauchen. Deswegen empfehlen wir auch weiterhin, die Kirchen kühl zu lassen.“
„Und wir sehen, dass es sich lohnt“, so Spatz weiter. In Absprache und mit Unterstützung des Domdechanten Weihbischof Heinz-Günter Bongartz wurde von Oktober 2022 bis April 2023 die Temperatur im Mariendom in Hildesheim auf die empfohlenen 9 °C gesenkt. „Tatsächlich ist die Innentemperatur nicht unter 10 °C gesunken – und wir konnten den Verbrauch im Vergleich zur vorjährigen Heizperiode um etwa 30 % senken. So haben sich trotz gestiegener Energiekosten die Ausgaben im Rahmen gehalten", berichtet der Ingenieur.
Im Zuge des Immobilienprozesses „Zukunftsräume“ erarbeitet das Team Technisches Gebäudemanagement / Klimaschutz zurzeit mit den angemeldeten Gemeinden neue und individuell angepasste Heizkonzepte – das bedeutet weniger Energieverbrauch und weg von den fossilen Energien. „Bislang pusten wir noch mit großen öl- oder gasbetriebenen Umluftheizungen viel warme Luft in den Kirchenraum – das kostet uns viel Energie und Geld. In Zukunft wollen wir die Wärme direkt an die Menschen bringen – das gelingt uns mit Wärmekissen oder Sitzbankheizungen, die wir mit Strom aus erneuerbaren Energien aufwärmen. Da benötigen wir viel weniger Energie. Das spart Kosten und CO2“, sagt Spatz. Zwei Wärmekissen-Sets hat die Abteilung bereits zum Testen angeschafft. Diese können bei Interesse von den Pfarreien jeweils für 4 Wochen zur Probe ausgeliehen werden und sind gerade wieder in zwei Gemeinden im Einsatz.
Ronja Maatmann kontrolliert erneut die Zickzacklinien auf ihren Monitoren. Werte zu den Temperaturen an den Bänken mit dem elektrischen Sitzkissen hat sie noch nicht. Die Ingenieurin lacht. „Aber dazu brauchen wir auch keine Messfühler – das wissen wir auch so: Die Besucher:innen haben es demnächst, trotz kühler Kirche, auf den Sitzbänken schön warm.“
Ständiger Austausch zwischen Technischem Gebäudemanagement und Umweltteam
Die Ingenieurin (M. Eng.) Ronja Maatmann und der Diplom-Ingenieur Martin Spatz vertreten das Team Technisches Gebäudemanagement/Klimaschutz (TGM) im neu gegründeten Umweltteam des Bistums Hildesheim. Martin Spatz ist dabei zugleich Leiter des Teams TGM und leitet in Doppelspitze mit dem Umweltbeauftragten Dr. Dr. Dirk Preuß das Umweltteam. So sorgen er und seine Kollegin für den ständigen fachlichen Austausch zwischen beiden Teams.
Das Team TGM unterstützt die Kirchengemeinden in technischen Fragen. Es betreut zudem Baumaßnahmen am Domhof und begleitet die Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele des Bistums im baulichen, landwirtschaftlichen und forstwirtschaftlichen Bereich. Außerdem kümmern sich die Ingenieur:innen um den Energiepool, der Gemeinden eine gebündelte Ausschreibung ermöglicht und über den die teilnehmenden Pfarreien 100% zertifizierten Ökostrom aus regenerativen Energiequellen in Deutschland beziehen.
Das Bistum Hildesheim hat das Ziel, bis zum Jahr 2035 klimaneutral zu sein. Dieses ehrgeizige, aber angesichts der Klimakrise notwendige Ziel, ist ganz eng verknüpft mit dem pastoral fokussierten Immobilienprozess Zukunftsräume. Hier müssen der Erhalt und die Weiterentwicklung sowohl profaner als auch sakraler Gebäude aufs Engste an die Nachhaltigkeitsziele gekoppelt werden. Angestrebt ist daher eine klimaneutrale Bewirtschaftung der Gebäude, die im Bestand bleiben. Das heißt, es wird langfristig keine fossilen Energieträger mehr für die Wärmegewinnung geben, Gebäude müssen energetisch saniert werden, um den Energieverbrauch zu reduzieren und der genutzte Strom stammt aus erneuerbaren Energien oder sogar aus der eigenen PV-Anlage.