Nachgefragt: Welche Verantwortung tragen wir in Politik und Gesellschaft?
Anfang Oktober vergangenen Jahres ist mit einer großen Auftaktveranstaltung das Nachhaltigkeitsprojekt des Bistums gestartet. Im April werden die Arbeitsgruppen ihre Ergebnisse abliefern. Heute wollen wir mehr über das Thema „Mitwirkung in Politik und Gesellschaft“ erfahren. Wir haben bei Dr. Christian Heimann, dem Vorsitzenden des Diözesanrates, nachgefragt.
Herr Dr. Heimann, Sie sind Mitglied der Arbeitsgruppe „Mitwirkung in Politik und Gesellschaft“ im Rahmen des Nachhaltigkeitsprozesses. Mit welchen Themen haben Sie sich dort in den vergangenen Monaten befasst?
In der Projektgruppe haben wir versucht, über den Tellerrand der Kirche von Hildesheim hinauszuschauen und zu lernen: Wer sind die möglichen Partner in der Gesellschaft, in anderen Kirchen und in der Politik, mit denen wir gemeinsam agieren können? Wie stellen wir uns im Bistum organisatorisch und prozessual auf, um das Themenfeld ganzheitlich voranzubringen? Welche Klimaschutzziele werden aktuell umweltpolitisch diskutiert – und wie sollte sich das Bistum hier deutlich positionieren und seine Verantwortung für die Schöpfung wahrnehmen? Und vor allem: Wie machen wir die Dringlichkeit des Themas und die Notwendigkeit von tiefgreifenden Maßnahmen deutlich?
2010 haben wir mit der Einführung der Umweltleitlinien den ersten Schritt getan. Diese Leitlinien gilt es zu aktualisieren und verbindlich umzusetzen. Außerdem bedarf es einer Vision zum Thema Klimagerechtigkeit mit konkreten und ambitionierten Zielen. Auch wir müssen uns an unseren Taten messen lassen. Die Frage ist, wie wir uns als Bistum verpflichten können, unsere Umwelt zu schützen und unsere Verantwortung gegenüber der Gesellschaft wahrzunehmen.
Ergibt sich diese Verantwortung nicht bereits aus unserem Auftrag zur Bewahrung der Schöpfung? Warum benötigen wir dafür verbindliche Umweltleitlinien?
Unsere Verantwortung leitet sich vorrangig aus dem Auftrag zur Bewahrung der Schöpfung ab. Die Erfahrung zeigt aber, dass das für den einen oder die andere eine sehr abstrakte Formulierung ist, die schwer in den Alltag zu übersetzen ist. Daher brauchen wir verbindliche Umweltleitlinien, die uns Orientierung geben und unser Handeln leiten. Sie wirken dann wie ein Navigationssystem, das uns auf Kurs hält, um das Ziel nicht aus den Augen zu verlieren: eine klimagerechte Welt.
Welche konkreten Themen müssen in Ihren Augen in den kommenden Monaten priorisiert werden? Wo drängt die Zeit am meisten?
Wir haben vielfältige Handlungsfelder, die es anzugehen gilt. Das zeigt unser Nachhaltigkeitsprojekt deutlich. Zuallererst müssen wir aber den Entscheidungsträgern in unserem Bistum die Dringlichkeit deutlich machen und sie mit allen Informationen versorgen, die sie brauchen, um verantwortungsvolle Entscheidungen zu treffen. Wir stehen am Rand einer Klimakatastrophe. Daher gilt für das Thema Klimaschutz: Nicht-Entscheiden ist eine Entscheidung dagegen, da uns die Zeit wegläuft. Zudem ist mir auch sehr bewusst, dass wir auch die Menschen im Bistum dazu abholen müssen, ob in den Schulen, den Gemeinden, im Gottesdienst, in den Gremien oder Verbänden. Ohne oder gegen sie lässt sich das Thema nicht umsetzen. In den nächsten Monaten werden die Weichen gestellt. Dafür brauchen wir einen breiten Konsens.
Sollte die Kirche Ihrer Meinung nach in Sachen Klimaschutz eher Vermittler oder Vorantreiber sein?
Wir als Kirche werden niemals eine völlig neutrale Position zum Thema Klimagerechtigkeit haben, sondern sind Anwalt der Schöpfung. Damit sollten wir die Rolle des Vorantreibers innehaben. Gleichzeitig können wir eine gesellschaftliche Vermittlerrolle einnehmen, wenn es um den Prozess geht, da wir glaubhaft keine weiteren wirtschaftlichen Eigeninteressen haben.
Politische Lobbyarbeit hat oftmals einen schlechten Ruf. Viele denken, dass hier große Summen fließen, um hinter den Kulissen die Gesetzgebung zu beeinflussen. Wie verstehen Sie Lobbyarbeit: Schicken wir zukünftig unseren Bischof mit einem großen Geldkoffer nach Berlin?
Laut Wikipedia ist Lobbyarbeit eine Bezeichnung für Interessensvertretung in Politik und Gesellschaft. Nach dieser Definition bin ich gern Lobbyist für den Klimaschutz und die Nachhaltigkeit. Ich freue mich, wenn auch unsere Bistumsleitung diese Rolle wahrnimmt. Wir müssen unseren ureigensten Auftrag zur Bewahrung der Schöpfung auch in der Politik und in der Gesellschaft vertreten und damit unseren Beitrag zur Meinungsbildung leisten. Tatsächlich habe ich manchmal den Eindruck, dass wir als Kirche hier immer weniger als ernst zu nehmender Partner wahrgenommen werden. Wenn wir gestalten wollen, dann müssen wir authentisch sein – und das heißt, wir müssen das vorleben, was wir predigen.
Um auf Ihre Frage zurückzukommen: Vielleicht schicken wir nicht nur den Bischof, sondern auch viele Engagierte los. Und im Koffer haben sie einige Exemplare der Umwelt-Enzyklika „Laudato si’“ dabei.
Welche Kooperationen und Netzwerke sind für uns als Bistum zukünftig von Bedeutung? Mit welchen Institutionen, Organisationen und sonstigen Akteuren arbeiten wir bereits zusammen?
Das Bistum und vor allem die Menschen vor Ort haben beim Klimaschutz auf vielen Ebenen Kontakte in die Gesellschaft, in die Politik und in die unterschiedlichen Initiativen. Sie engagieren sich in Gruppen und bringen so ihre Begabungen ein. Das ist ein Prozess, der schlussendlich die Erfahrungen aus dem ehrenamtlichen Engagement zurück in das Bistum, seine Gremien, Verbände und Pfarreien trägt und uns alle voranbringt. Dennoch ist es sicher gut, wenn das Bistum als Institution hier noch stärker Flagge zeigt und deutlich macht: „Wir sind an Eurer Seite, wenn ihr Euch für den Klimaschutz einsetzt. Und wir unterstützen Euch dabei.“
Wen sehen Sie in der Verantwortung? Haben nur der Bischof und der Generalvikar entsprechenden Einfluss auf Politik und Wirtschaft? Oder sind auch andere Haupt- und Ehrenamtliche aus Kirchengemeinden, Verbänden und Einrichtungen gefordert, aktiv mitzuwirken?
Aus meiner Sicht sind Nachhaltigkeit und Klimaschutz eine Gemeinschaftsaufgabe – der Amtskirche und der Mitglieder. Ich habe zum Beispiel das Katholische Büro in der Regierungskommission „Klimaschutz“ des Landes Niedersachsen vertreten und war Mitglied einer AG zum Thema Endlagersuche in Berlin. Um sich hier zu engagieren, braucht man kein Theologiestudium und keine Weihe, sondern den Wunsch etwas zu bewegen und das Vertrauen deren, die man vertritt. Dennoch ist mir klar, dass eine Positionierung der Bistumsleitung immer eine besondere Bedeutung und Wirkung hat. Zwar können ohne die finanziellen Unterstützungen des Bistums die notwendigen CO2-Einsparungen nicht erreicht werden, aber auch ohne die Menschen vor Ort, die es umsetzen und ihr Handeln anpassen müssen, hat es wenig Chancen auf Erfolg.
Umweltschutz macht bekanntlich vor Grenzen nicht halt. Das Bistum Hildesheim steht somit auch in einer globalen Verantwortung. Dafür steht unter anderem unsere Bolivienpartnerschaft. Inwiefern?
Umwelt- und Klimaschutz ist in mehrfacher Sicht ein Gerechtigkeitsthema. Die Kosten unseres jetzigen Wohlstandes hinterlassen wir unseren Kindern und auch die jetzt schon sichtbaren Folgen betreffen meistens andere Länder. Wenn der Wasserspiegel steigt, können wir uns höhere Staudämme leisten, während Inseln versinken. Wenn Energiekosten steigen, investieren wir in regenerative Energiequellen, während arme Länder noch ärmer werden. Am Beispiel unserer Bolivienpartnerschaft sehen wir konkret, wie die Wirkketten aussehen. Bolivien hat einen sehr großen Wassermangel. Dieser wird noch verschärft durch die Gewinnung von Lithium, was sehr wasserintensiv ist. Während Lithium hilft, die Energieprobleme in Europa zu lösen, verschärft es den Wassermangel in Bolivien. Hier wird deutlich, welche Auswirkungen unser Handeln in der Welt hat. Nicht abstrakt, nicht irgendwann, sondern sehr konkret, jetzt, meistens auch in komplexen Zusammenhängen und auch nicht irgendwo, sondern bei Menschen, mit denen wir verbunden sind.
Werfen wir gemeinsam einen Blick in die Zukunft. Was sind in Ihren Augen die größten Herausforderungen in Sachen Nachhaltigkeit in den kommenden zehn Jahren?
Wir stehen als Gesellschaft, als Bistum und auch als Christen vor der Herausforderung, jetzt konkret zu handeln und nicht erst in ein paar Jahren. Der größte Teil der (Fach-)Wissenschaft geht davon aus, dass wir bei der Erwärmung zwischen 1 und 2 Grad das System irreversibel schädigen. Um das zu vermeiden, müssen wir unter anderem massiv gegensteuern – durch den Einsatz von effizienten Technologien und durch Verhaltensänderungen. Und hier müssen wir auf allen Ebenen aktiv werden: im eigenen Haushalt, in der Pfarrei, im Verband und auch auf Ebene des Bistums. Wir werden uns in Zukunft nicht nur fragen: Wie können wir effizienter Energien nutzen und wie vermeiden wir Energieverluste? Wir werden uns auch die Frage stellen müssen, ob wir uns noch alles leisten können und sollten. Es wird um Verzicht oder zumindest um bewussten Verbrauch gehen. All das wird uns viel abverlangen. Es wird eine Menge Geld für technische Verbesserungen nötig sein, das anderswo fehlen wird. Je später wir damit anfangen, desto schmerzhafter wird der Prozess. Dennoch sollten wir nicht den Kopf in den Sand stecken, sondern uns anspornen lassen, jetzt konsequent zu handeln, in Verantwortung für die Umwelt, für uns selbst und für unsere Kinder!
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Gespräch führte Cornelia Hanne, Referentin für Interne Kommunikation.