Hildesheimer Schöpfungslieder

"In jedem Ton" und "Bruder Sonne"

Ausgehend vom Sonnengesang des Hl. Franz von Assisi und angeregt durch das 10-jährige Jubiläum der päpstlichen Enzyklika "Laudato si’ – Über die Sorge für das gemeinsame Haus" sind zwei Hildesheimer Schöpfungslieder entstanden: "In jedem Ton" und "Bruder Sonne".

Die beiden Lieder können und sollen Alternativen darstellen zu einem Klassiker des neuen geistlichen Liedes, "Laudato si". Gemeinden, Chöre und Musikgruppen sind eingeladen, sich mit den Liedern vertraut zu machen und sie in Gottesdiensten und liturgischen Feiern zu singen und zu spielen. 

Entstanden sind die Lieder auf Initivative der Teams Liturgie+Kirchenmusik und Umwelt.  Die Texte hat Susanne Brandt geschrieben. Sie ist Bibliothekarin, Kulturvermittlerin und Autorin in Lübeck. Komponiert hat die Lieder der Hildesheimer Domkantor Michael Čulo. 

Im Gottesdienst an Aschermittwoch, 5. März 2025, im Hildesheimer Dom werden die Lieder uraufgeführt. Auch im Rahmen der Fastenpredigten an den Sonntagen der österlichen Bußzeit 2025 werden die Lieder zu hören sein. 

Das sagen die Beteiligten an der Entstehung des Liedes:

Susanne Brandt, Texterin

Bei der Gestaltung beider Texte bewegte ich mich mit meinen Ideen zwischen vier miteinander verbundenen Eckpunkten: Da war zunächst der mittelalterliche Sonnengesang mit seiner sprachlichen Architektur, die auch in den neuen Texten erkennbar bleiben sollte. Da war das Anliegen, ein leicht vermittelbares Strophenlied für den Gemeindegesang zu schaffen, was im Blick auf die Komposition bedeutet: Die Strophen müssen nicht nur von der Silbenzahl und -betonung her übereinstimmen, sondern auch parallele Inhaltsstrukturen aufweisen, um im Melodieverlauf durchgängig ein sinnvolles Wort-Ton-Verhältnis zu ermöglichen. Dabei galt es – als dritten Punkt – eine poetische unverbrauchte Bildsprache zu finden, die als zeitgemäß und zeitlos zugleich empfunden werden kann. Und schließlich: Die ermutigende spirituelle Ausdruckskraft der Texte sollte inmitten aller aktuellen Krisen dennoch glaubwürdig wirken, also einen tiefen Grund zur Freude durchscheinen lassen.“

Warum ein „Sonnengesang“ für die heutige Zeit?

Die Bilderwelt des Sonnengesangs von einer Geschwisterlichkeit auf Erden, bei dem alle Geschöpfe und Elemente einander als Subjekte begegnen und berühren – ohne dass der Mensch davon einen eigennützigen Herrschaftsanspruch ableiten könnte – ist von radikaler Aktualität angesichts der globalen Krisen.

Franz von Assisi hat in seiner Zeit geradezu visionär erkannt, dass es die Poesie vom Lebendigen ist, die uns das elementare Verbundensein immer wieder neu erfahren lässt. Es lag ihm fern, Theorien niederzuschreiben, sich als Theologe oder Philosoph seiner Zeit hervorzutun. Sein Sonnengesang vermittelt keine Schöpfungslehre.

Was er mit einer fein ausbalancierten poetischen Architektur von der Beziehung zwischen „Schwestern“ und „Brüdern“ zum Klingen bringt, ist…

  • eine unmittelbare sinnliche Freude an der Schöpfung. 
    In ihr erkennt er eine eigene ästhetische Qualität, ohne sie zu idealisieren. Es geht ihm nicht um eine Verklärung. Sein Staunen und seine Bewunderung gilt dem Eigenwert der nicht-menschlichen Mitgeschöpfe, wobei er sich hier bewusst auf die Urelemente konzentriert.
  • die Erfahrung einer umfassenden Geschwisterlichkeit.
    Er schaut nicht von außen oder von oben auf Objekte, die ihm unterstellt sind, sondern lässt in jedem Ton sie Stimme der Geschöpfe selbst mitklingen – im Sinne einer Beziehung zwischen gleichwertigen Subjekten. Dabei gehören alle Elemente des Universums der gleichen Ordnung an und werden vom göttlichen Ursprung her gedacht.
  • Liebe und Friede als jene Kräfte, die uns aus diesem göttlichen Ursprung zuwachsen und verbinden.
  • ein „Über-sich-hinausweisen“ bis hinein in das Geheimnis des Todes.
    Die unmittelbare und sinnliche Daseinsfreude und die Erfahrung des Sterbens widersprechen einander nicht, sondern sind aufeinander bezogen.

Susanne Brandt
Bibliothekarin, Kulturvermittlerin und Autorin in Lübeck, Textschöpferin der Hildesheimer Schöpfungslieder

Michael Čulo, Komponist

Die Melodie zu einem neuen Lied zu schreiben, klingt zunächst nach einer leicht zu bewältigenden Aufgabe. Ein Lied, das sowohl Kindern, Jugendlichen als auch Erwachsenen Freude beim Singen bereitet, das eingängig aber nicht banal oder trivial ist, das mit wenigen im Gesprächskreis und mit vielen bei Großveranstaltungen funktioniert – ein Lied, das den Ton trifft – das ist eine schöne Herausforderung.

Der Sonnengesang des Heiligen Franziskus ist als Vorlage schon Musik. Die zwei Liedtexte, die Susanne Brandt geschrieben hat, haben ihr Metrum, ihren eigenen Rhythmus, ihre Sprachmelodie. Ich habe versucht, dem nachzuspüren: Wie klingen die Worte in mir? Was spricht mich unmittelbar an?

Als erstes war der Chorus „In jedem Ton Staunen und Freude“ in meinem Kopf und in meiner Stimme. Von ihm ausgehend entstanden die Strophen, die das Gegensätzliche des Textes musikalisch nachzeichnen. Das Lied war fertig, der Auftrag erfüllt.

Im kreativen Flow entstand gleichsam unwillkürlich die Melodie von „Bruder Sonne“, die verwandt ist und doch vom Charakter her ganz verschieden. Zwei Geschwister, die tiefer in das Geheimnis von Gottes Schöpfung hineinklingen und hinaussingen.

Michael Čulo
Domkantor in Hildesheim, Komponist der Hildesheimer Schöpfungslieder0

Dr. Elisabeth Steffens, Initiatorin

Die Idee für den Kompositionsauftrag entstand bei der Fortbildung „Beten unter Bäumen. Spiritualität des Waldes bei Franz von Assisi“. Beim Mittagessen diskutierten engagierte Christinnen darüber, ob man das so populäre Laudato si‘ - Lied angelehnt an den Sonnengesang des Heilige Franziskus von Assisi noch singen darf oder nicht. Denn schockierenderweise war der Autor des Textes, Winfried Pilz (†), Missbrauchstäter.

Die eine Christin war der Meinung, dass das Lied auf jeden Fall weitergesungen werden sollte, da es besonders Kinder sehr schnell begeistert. Die andere Engagierte war absolut dagegen. Denn das Lied kann gerade vor dem Hintergrund des Missbrauchs vieler Kinder und Jugendlicher durch Priester nicht mehr mit gutem Gewissen gesungen werden. Um aus diesem Dilemma herauszukommen, hatte ich die Idee, ein neues Laudato si‘ Lied in Auftrag zu geben.

Nun feiern wir ja dieses Jahr zehn Jahre Enzyklika LAUDATO SI‘ von Papst Franziskus über die Sorge für das gemeinsame Haus. Eine Kernforderung von Papst Franziskus darin an alle Menschen guten Willens lautet: Die Schreie der Erde und die Schreie der Armgemachten zu hören. Von daher passt es perfekt, dass die Lieder am Aschermittwoch im Mariendom zu Hildesheim uraufgeführt werden. Denn mit diesen neuen Liedern anerkennen wir konkret das unerträgliche und unvergessliche Leid vieler, vieler Menschen, die in der Katholischen Kirche sexuell missbraucht wurden. Wir unterstützen ihre Forderungen nach umfassender Aufarbeitung und angemessener Entschädigung voll und ganz. 

Dr. Elisabeth Steffens
Referentin für Schöpfungsspiritualität im Bistum Hildesheim

 

Dr. Stefan Mahr, verantwortlicher Kirchenmusikreferent

Seit meinen Kindertagen in den 1970er-Jahren ist Laudato Si ein Lied, dass mich immer begleitet hat – sei es in Bamberg, im Nordschwarzwald, in München, wie auch in Hildesheim bei der Arbeit mit Kinderchören und in Schulen – ja eigentlich überall, wo ich mit Menschen Kirchenmusik gestaltet habe und bis heute gestalte.

Dann aber in den letzten Jahren immer häufiger die Frage nach dem Umgang mit musikalischen Werken von Missbrauchstätern, wozu leider auch dieser „Klassiker“ des Neuen Geistlichen Liedes zählt.

Was soll man tun? Kann oder soll man ein Lied einfach verbieten? Und wenn ja, wie soll das in der Praxis durchgesetzt werden? Fragen, die sich auch die Bistumsleitung und die Kirchenmusikkommission des Bistums gestellt haben.

Ein guter Umgang damit ist aus meiner Sicht, dass man die Menschen auf die Problematik hinweist und Ihnen aber statt eines erhobenen Zeigefingers einen Weg aufzeigt, indem das Bistum etwas Neues, möglichst Gutes – ja im Idealfall Besseres zum gemeinsamen Singen anbietet! Und damit traf meine Kollegin Dr. Steffens einen Nerv bei mir, als sie mit der Idee eines neuen Schöpfungsliedes zu mir kam. Ausgehend vom Sonnengesang des Hl. Franziskus und angeregt auch durch das 10-jährige Jubiläum der Enzyklika Laudato Si wollten wir den Menschen in unserem Bistum und darüber hinaus eine Liedalternative anbieten.

Nach ersten internen Absprachen im Team Liturgie+Kirchenmusik und dem Umweltteam folgten wir der Empfehlung meines Kollegen Axel Simon vom Dt. Liturg. Institut (DLI) in Trier und nahmen Kontakt zu Fr. Brandt aus Lübeck auf, die wir glücklicherweise für den Text gewinnen konnten. Bei der Musik war es dann frei nach einem berühmten Sprichwort: Wozu in die Ferne schweifen…, denn mit unserem Domkantor Michael Čulo haben wir einen sehr guten und in der Gemeindeliedpraxis äußerst erfahrenen Komponisten in den eigenen Reihen.

Frau Brandt und Herr Čulo gingen ans Werk und präsentierten uns zunächst das Lied In jedem Ton, das sofort unsere Zustimmung fand. Mit "Bruder Sonne" hatten sie aber gleichzeitig ein weiteres Lied geschrieben. Es sind nun also zwei Lieder statt geworden - quasi ein musikalisches Geschwisterpaar, welches die Uraufführung im Rahmen des Pontifikalamtes zum Aschermittwoch im Dom zu Hildesheim erleben wird.

Eine persönliche Einschätzung: Die Hildesheimer Schöpfungslieder In jedem Ton und Bruder Sonne sind nach meinem Empfinden zwei textlich und musikalisch sehr gelungene Liedalternativen zum Thema Laudato Si, denen eine große Verbreitung zu wünschen ist!

Dr. Stefan Mahr
Kirchenmusikreferent im Bistum Hildesheim