Zehn Jahre Laudato si´ – denn wir können auch anders
(Nachhaltig) Nachgefragt
Warum wird zehn Jahre, nachdem Papst Franziskus mit seiner Gerechtigkeits- und Umwelt-Enzyklika „Laudato si´“ zu einer ganzheitlichen ökologischen Umkehr aufgerufen hat, gerade so wenig über den Erhalt unserer Lebensgrundlagen geredet? Wovon spricht Papst Franziskus in Laudato si´ eigentlich genau und was hat das mit dem Prozess Schöpfungsgerecht 2035 des Bistums zu tun? Wir haben nachgefragt bei Frauke Stockhorst, Referentin für Nachhaltigkeitskommunikation im Umweltteam des Bistums.
Das Jahr 2015, in dem die Enzyklika erschienen ist, war aus Sicht der ökologischen und sozialen Nachhaltigkeitspolitik ein ganz besonderes Jahr.
Das stimmt. Das päpstliche Rundschreiben erschien im Vorfeld der Weltklimakonferenz in Paris, an deren Ende sich die Staatengemeinschaft verpflichtet hat, die Erdüberhitzung auf unter 2 Grad, möglichst auf 1,5 Grad, einzudämmen. Und dann verabschiedete die Generalversammlung der Vereinten Nationen auch noch die 17 globalen Nachhaltigkeitsziele. Auch Deutschland hat zugesagt, diese Ziele umzusetzen und so unter anderem bis 2030 Armut zu bekämpfen, bezahlbare und saubere Energien bereitzustellen sowie nachhaltige Städte und Gemeinden zu entwickeln.
Unter Donald Trump sind die Vereinigten Staaten nun aber erneut aus dem Klimaschutzabkommen ausgetreten. Müssen wir dann im Land oder im Bistum überhaupt noch unsere Nachhaltigkeitsziele erreichen?
Naja, dadurch, dass einer sich und anderen die Augen zuhält und Verabredungen nicht einhalten möchte, heißt es ja nicht, dass sich das Problem auflöst und keiner mehr etwas tun muss. So wendet sich der Papst in seiner Enzyklika ja auch bewusst an „jeden Menschen, der auf diesem Planeten wohnt“. Und neben den Regierenden weltweit, der Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft sieht er die Aufgabe auch bei uns Christinnen und Christen, unser gemeinsames Haus zu schützen und umzubauen.
„Deshalb ist es ein Nutzen für die Menschheit und für die Welt, dass wir Gläubigen die ökologischen Verpflichtungen besser erkennen, die aus unseren Überzeugungen hervorgehen.“ (LS, 64)
Die Enzyklika trägt den Titel „Über die Sorge für das gemeinsame Haus“. Worum geht es darin denn genau?
Als ich mich vor anderthalb Jahren als Vorbereitung zur Bewerbung für das Umweltteam mit der Enzyklika ausführlicher beschäftigt habe, war ich sehr erstaunt darüber, wie klar der Papst den schlechten Zustand unserer Lebensgrundlagen Boden, Wasser, Luft, Klimasystem und biologische Vielfalt wissenschaftlich fundiert analysierte. Außerdem benennt er auch die Ursachen und das soziale Leid der Menschen, das unmittelbar mit Naturzerstörung und Erdüberhitzung verwoben ist. So schreibt der Papst über Machtkonzentration, Ausbeutung, Ungleichheit, Armut, Hunger, Flucht und zukünftigen Generationen, die in Gefahr sind.
„Wir kommen jedoch heute nicht umhin anzuerkennen,dass ein wirklich ökologischer Ansatz sich immer in einen sozialen Ansatz verwandelt, der die Gerechtigkeit in die Umweltdiskussionen aufnehmen muss, um die Klage der Armen ebenso zu hören wie die Klage der Erde.“ (LS, 49)
Und was folgt daraus? Benennt der Papst auch Lösungen? Und was unterscheidet die Enzyklika von den anderen Papieren aus dem Jahr 2015?
Für mich sind es drei Punkte, die ich in den vorgeschlagenen Leitlinien des Papstes besonders finde: So fordert Franziskus die Menschen in Politik und Unternehmen zu einem ganzheitlichen und am Gemeinwohl orientierten Handeln auf, das auf fairen und wahrhaftigen Diskussionen beruht. Und er schlägt einen nachhaltigen Lebensstil vor, der sich auch in alter christlicher Spiritualität zeigt.
"Es handelt sich um die Überzeugung, dass ein weniger mehr ist.“ (LS, 222)
Als eine zentrale Voraussetzung sieht er außerdem eine ökologische Spiritualität, in der wir nicht nur wieder mit uns selbst, unseren Nächsten und Gott verbunden sind, sondern uns auch als ein Teil der Schöpfung erleben.
„Es schließt auch das liebevolle Bewusstsein ein, nicht von den anderen Geschöpfen getrennt zu sein, sondern mit den anderen Wesen des Universums eine wertvolle allumfassende Gemeinschaft zu bilden.“ (LS, 220)
Was hat Laudato si´ mit dem Nachhaltigkeitsprozess Schöpfungsgerecht 2035 des Bistums zu tun?
Den Auftrag aus der Enzyklika zu einer ganzheitlichen ökologischen Umkehr hat die Deutsche Bischofskonferenz 2018 in ihren Handlungsempfehlungen „Schöpfungsverantwortung als kirchlicher Auftrag“ umgesetzt. Das hat bei uns im Bistum den Nachhaltigkeitsprozess angestoßen, der sich heute in den Zielen von Schöpfungsgerecht 2035 und den damit verbundenen Aufgabenfeldern Schöpfungsspiritualität, Energetisches Sanieren, Artenvielfalt, Nachhaltige Mobilität, Engagement in der Gesellschaft, Umweltbildung sowie Bolivienpartnerschaft und Ökotheologie wiederfindet.
Zurzeit wird ja sehr wenig in den Nachrichten oder auch im derzeitigen Wahlkampf über Klima- und Umweltschutz und die Bewältigung sozialer Probleme geredet. Das war vor ein paar Jahren noch ganz anders. Woran liegt das?
Ab und zu gibt es schon noch Meldungen. So gab es beispielsweise Anfang des Jahres die Nachricht, dass das Jahr 2024 bereits global bei 1,6 Grad Temperaturerhöhung lag. Vorletzte Woche wurde die Bilanz des Expertenrates für Klimafragen der Bundesregierung vorgelegt. Die zeigt, dass zwar der Ausbau von Solar- und Windenergie jetzt vorankommt, aber noch mehr getan werden muss, auch, um die CO2-Emissionen im Gebäudebereich, im Verkehr aber auch bei unseren natürlichen Ökosystemen Boden, Wald und Moor zu senken.
Dennoch ist es auffällig, dass wir wenig darüber hören, obwohl wir Dürre, Hitze, Starkregen und Überflutungen in immer kürzeren Zeitabständen bei uns direkt vor der Haustür erleben und wir wissen, dass mit jedem Zehntelgrad mehr im Klimasystem die Wahrscheinlichkeit dieser Extremwetterereignisse weiter zunehmen wird. Wir sehen auch, dass es vor allem die armen Menschen besonders hart trifft, aber über Lösungen und soziale Abfederung hören wir in Nachrichten oder Wahlkampf doch nur selten etwas.
Aber wir haben gerade gleichzeitig viele Ereignisse auf der Welt, die uns Sorgen machen und uns erschüttern. Und unser Gehirn schützt uns dann, indem wir verdrängen, nicht mehr hinschauen oder sogar Dinge nicht mehr wahrhaben wollen.
Und es kommt noch etwas hinzu: Wir erleben, wie diese Verunsicherung von Populisten ausgenutzt wird. Sie schüren sogar noch weiter Angst, etwa mit Unwahrheiten oder auch Narrativen, spielen gerade die schwächsten Menschen gegeneinander aus und präsentieren vermeintlich einfache Lösungen. So wird auch nachhaltiger Wandel verhindert oder verlangsamt.
„Viele von denen, die mehr Ressourcen und ökonomische oder politische Macht besitzen, scheinen sich vor allem darauf zu konzentrieren, die Probleme zu verschleiern oder ihre Symptome zu verbergen ...“ (LS, 26)
Haben Sie da ein Beispiel?
Ein immer wiederkehrendes Narrativ, also eine bewusst gesetzte Erzählung, ist zum Beispiel, dass Klimaschutz zu teuer ist und wir uns die Maßnahmen in der Geschwindigkeit und Umfang nicht leisten können. Stattdessen ist richtig, dass uns ein Nichtstun um ein Vielfaches mehr kostet – weil die immer weiter zunehmenden Klimawandelfolgen einfach immens teuer sind. So hat allein der Wiederaufbau nach der Flut im Ahrtal rund 40 Milliarden Euro gekostet. Auch weiter mit Öl und Gas zu heizen, wird für uns wegen der CO2-Bepreisung in den nächsten Jahren immer teurer werden. Andersherum macht es uns unabhängig und spart auf Dauer viel Geld, wenn wir den eigenen Strom mit Solarpanelen vom Dach produzieren und sogar fürs Heizen zu verwenden.
Dass das auch Spaß macht, konnte ich gerade gestern wieder beobachten, als Menschen am Bahnsteig zusammenstanden und sich gegenseitig auf ihren Handys zeigten, wieviel eigenen Strom ihre Balkon- oder Dach-Solaranlage bei diesem Wetter gerade produziert. Gleichzeitig ist es natürlich trotzdem richtig, dass nachhaltiger Umbau erst einmal Geld kostet – und gerade die, die es sich finanziell nicht leisten können, müssen hier unterstützt werden.
Was gibt Ihnen denn Hoffnung, dass wir demnächst nicht nur wieder mehr über Klima- und Menschenschutz reden, sondern auch schneller und besser im Handeln werden und unsere Ziele einhalten können?
Für mich ist Laudato si´ ja ein Gegenentwurf zu Populismus und Spaltung. Die Enzyklika zeigt auf, dass wir es zwar mit einem komplexen Problem zu tun haben und dass das Leid der Natur und der Menschen unmittelbar miteinander verbunden ist. Aber auch, dass wir zusammen zu Lösungen fähig sind, die meisten Lösungen ja bereits kennen und jetzt aber auch konsequent umsetzen müssen.
Tatsächlich bin ich genau auch aus diesem Grund hier im Umweltteam des Bistums: Geschichten darüber zu hören und zu erzählen, dass sich auch hier, und das zum Teil ja bereits seit Jahren, Menschen für eine bessere Zukunft für alle einsetzen und damit den Wandel zuversichtlich mitgestalten. Ich denke da an die Engagierten im Schöpfungsgarten in Bleckede oder an die Kolpinggeschwister, die eine eigene Energiegenossenschaft gegründet haben und an die vielen Ehrenamtlichen in den Gemeinden der „Allianz für die Schöpfung“.
Außerdem hat das Bistum Hildesheim mit Schöpfungsgerecht 2035 zusätzlich einen strukturierten Prozess aufgesetzt, mit dem wir jetzt zusammen mit den Menschen in den Gemeinden und Institutionen beim anstehenden Wandel auch gleich unseren nachhaltigen und schöpfungsgerechten Umbau mitdenken und planen.
Wir machen also unsere Hausaufgaben. Das tut gut und gibt mir und vielleicht auch anderen Menschen Hoffnung.
„Während die existierende Weltordnung sich als unfähig erweist, Verantwortung zu übernehmen, kann die örtliche Instanz einen Unterschied machen. Denn dort können sich in der Weise, wie man an das denkt, was man seinen Kindern und Enkeln hinterlässt, eine größere Verantwortlichkeit, ein starker Gemeinschaftssinn, eine besondere Fähigkeit zur Umsicht, eine großherzige Kreativität und eine herzliche Liebe für das eigene Land bilden.“ (LS, 179)
Vielen Dank für das Gespräch.
(Das Gespräch führte Cornelia Hanne, Referentin Interne Kommunikation.)