„Wir danken Gott für Papst Franziskus“

Bischof Wilmer würdigte Leben und Wirken des verstorbenen Papstes während eines Gottesdienstes im Hildesheimer Dom

Bischof Dr. Heiner Wilmer SCJ hat heute Vormittag mit vielen Gläubigen im Hildesheimer Dom einen Dankgottesdienst für den verstorbenen Papst Franziskus gefeiert. Gestern noch war Wilmer in Rom gewesen, wo er auf dem Petersplatz am Trauergottesdienst für den Pontifex teilgenommen hatte.

Zurück in Hildesheim, betonte der Bischof, er habe den Petersplatz „noch nie in meinem Leben so voll erlebt“. Trotzdem sei die Atmosphäre entspannt und bewegend zugleich gewesen. Das habe ihm gezeigt, dass „die Kirche in bewegter Zeit ein Zufluchtsort für die Menschheit ist“. An die Gottesdienst-Gemeinde gewandt, sagte Wilmer: „Wir danken Gott, dass wir Papst Franziskus haben konnten – in der Kirche und in der Welt.“

Der Tod von Papst Franziskus erfüllt viele Menschen mit Trauer, zugleich aber steht die österliche Hoffnung im Mittelpunkt des christlichen Glaubens. Der Gottesdienst im Hildesheimer Dom war deshalb Ausdruck des Dankes für das Leben und Wirken des verstorbenen Papstes, eingebettet in die Feier des Sonntags der göttlichen Barmherzigkeit, der am zweiten Sonntag der Osterzeit gefeiert wird.

Dies war thematisch passend für ein Gedenken an Papst Franziskus, weil sich die Barmherzigkeit wie ein roter Faden durch dessen Amtszeit zieht. Papst Franziskus hat sich während seines Pontifikats sehr stark für Menschen in Armut und Bedrängnis eingesetzt und dieses Engagement stets als Kernaufgabe für die katholische Kirche angesehen.

Darauf ging Bischof Wilmer auch während seiner Predigt ein. Drei Pfeiler trugen nach Auffassung des Bischofs das Pontifikat von Papst Franziskus: Barmherzigkeit, Geschwisterlichkeit und Frieden. Der Heilige Vater habe den Stil gepflegt, einfach, zugänglich und humorvoll zu sein. „Ein Stil, der Brücken baute – nicht Mauern“, so Wilmer.

Nach den Worten des Hildesheimer Bischofs steht Papst Franziskus für „einen neuen Stil des Christentums“. Er habe den Weg der Barmherzigkeit gezeigt und uns gelehrt, dass Kirche dann glaubwürdig sei, wenn sie heile, liebe und sich bücke, nicht wenn sie herrsche.

„Beten wir für ihn – und gehen wir weiter auf dem Weg, den er uns gezeigt hat. Nicht laut. Nicht triumphal. Sondern leise. Im göttlichen Geist der Barmherzigkeit. Mit Hoffnung. Mit offenen Augen. Und mit dem Mut, dem Blick Jesu zu trauen. Dem Blick, der nicht verurteilt. Sondern ruft“, sagte Wilmer, der im Anschluss an die Heilige Messe nach Bergen-Belsen im Landkreis Celle fuhr. Dort erinnert heute Nachmittag eine Gedenkfeier an die Befreiung des Konzentrationslagers vor 80 Jahren.

Zu der Veranstaltung werden mehr als 50 Überlebende mit ihren Angehörigen erwartet, ebenso Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil, die britische Vize-Premierministerin Angela Rayner und der Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, Josef Schuster. Neben Wilmer nimmt auch der evangelisch-lutherische Landesbischof Ralf Meister aus Hannover an der Gedenkfeier teil.

Die heutige Predigt von Bischof Wilmer über Leben und Wirken von Papst Franziskus ist im Volltext hier dokumentiert:

„Miserando atque eligendo“ – Er sah ihn voller Barmherzigkeit an und erwählte ihn

Liebe Schwestern und Brüder,

es gibt Worte, die ein Leben zusammenfassen. Ein einziges Wort kann reichen, um den innersten Pulsschlag eines Menschen, sein Ringen, seine Hoffnung, sein Vermächtnis auszudrücken. Für Papst Franziskus war dieses Wort: Barmherzigkeit.

„Misericordia“ – das war nicht nur ein theologischer Begriff, nicht nur ein Thema seiner Enzykliken oder ein Schlagwort kirchlicher Reform. Für Jorge Mario Bergoglio war Barmherzigkeit der Herzschlag Gottes – und der Atem seiner eigenen Berufung. Als junger Mann wurde er von einem einzigen Bibelvers tief getroffen:
„Als Jesus von dort weiterging, sah er einen Mann namens Matthäus am Zoll sitzen und sagte zu ihm: Folge mir nach. Da stand er auf und folgte ihm nach.“ (Mt 9,9)

Dieser Blick Jesu auf Matthäus – liebevoll, durchdringend, nicht verurteilend, sondern rufend – dieser Blick wurde zur Lebenswende für ihn. Franziskus hat sich selbst immer wieder als Sünder bezeichnet, als einer, der dennoch geliebt ist. Sein Wahlspruch als Bischof und Papst war darum: „Miserando atque eligendo“ – „Er sah ihn voller Barmherzigkeit an und erwählte ihn“.

Und genau so hat er auf die Welt geschaut, eben mit den Augen Gottes. Mit einem barmherzigen Blick – auf Menschen in Armut, auf Geflüchtete, auf Missbrauchsopfer, auf Kranke, auf alle, die durch das Raster fallen.
Sein Pontifikat begann 2013 – und gleich die erste Reise führte ihn nach Lampedusa. An diesen Ort, an dem das Leid der Flüchtlinge sichtbare Wunden in die Küste Europas gräbt. Dort sprach er von einer Globalisierung der Gleichgültigkeit. Und dort sagte er: „Wir haben das Weinen verlernt.“

Franziskus hat das Weinen nicht verlernt. Er hat geweint – über den Krieg in der Ukraine, über die Kinder in Gaza, über die Ohnmacht der Menschheit. Und doch hat er nie aufgehört zu hoffen. Noch in seinem letzten Buch ruft er der Welt zu: „Spera“ – Hoffe!

Wer ihm begegnete, spürte: Hier steht ein Mann des Volkes, ein Bruder, kein Herrscher. Ein Papst im Rollstuhl mit Poncho, eine Woche vor Ostern in der Basilika. Ein Papst, der allein im Regen auf dem Petersplatz stand und betete und die Menschen der Welt segnete, als während der Pandemie die Welt stillstand. In diesem Moment, in dieser beängstigenden Leere, hat er uns das Evangelium nicht gepredigt – er hat es verkörpert. Allein. Im Sturm. Auf einem Boot, das fast unterzugehen drohte. Und er sagte nur: „Auf diesem Boot sind wir alle.“
Das war sein Stil: einfach, zugänglich, humorvoll.

Ein Stil, der Brücken baute – nicht Mauern.

Sein Programm war klar. Drei Pfeiler trugen sein Pontifikat:

1. Barmherzigkeit.
Papst Franziskus sah die Kirche als „Feldlazarett“, ein Ort der Heilung. Er unterstrich immer wieder die heilende, tröstende und versöhnende Kraft der Sakramente. Im Namen Gottes hat er Tor und Tür der Kirche weit geöffnet, auch für die, die fern waren. Im Namen Gottes veränderte er den Blick und eröffnete eine neue Perspektive für die Schöpfung, für das Klima und für das Bewusstsein, dass die soziale und die ökologischen Frage nicht zwei Fragen sind, sondern in ihrer Problematik ineinander verwoben sind. Den Schrei der Armen kann man nicht vom Schrei der Mutter Erde trennen. Seine Enzyklika über das Herz Jesu („Dilexit nos“) aus dem vergangenen Herbst ist jener theologische Schlussstein, der die Kathedrale Franziskus zusammenhält. Wie Jesus, so sollten auch wir uns treffen lassen von den Sorgen und Nöten der Menschen. Wie Jesus sollten auch wir zu Heilenden werden, die die Wunden der anderen verbinden. Wie Jesus sollten auch wir nah beim anderen Menschen sein, miteinander reden, von Herz zu Herz, füreinander da sein, nah, zärtlich und mutig.

2. Geschwisterlichkeit.
Er sprach von der „großen Menschheitsfamilie“. Er appellierte als Bischof von Rom an die Staaten Europas, sich mehr den Schutzsuchenden zuzuwenden. Das Gleichnis vom Barmherzigen Samariter deutete er nicht nur individuell, sondern auch kollektiv: Nicht nur der Einzelne habe sich um den Ausgeplünderten am Wegesrand zu kümmern und ihm die Wunden zu verbinden, sondern in der Menschheitsfamilie haben sich die starken Völker auch um die schwachen, die ausgebeuteten und die in jeder Hinsicht bedrängten Völker zu kümmern. Und in Venedig sagte er: „Die Kraft liegt nicht in den Händen der Großen dieser Welt, sondern im Volk.“ Er ging ins Gefängnis. Er wusch Häftlingen die Füße. Er ließ Duschen für die Obdachlosen am Petersplatz bauen. Er wollte Kirche nicht als Machtinstitution, sondern als dienende Gemeinschaft. Eine Kirche, die keine Angst hat, auf die Straße zu gehen, sich schmutzig zu machen, die keine Angst hat, eine verbeulte Kirche zu sein. Er wollte eine Kirche, die raus geht und nicht eine Kirche, die sich nur um den eigenen Bauchnabel dreht und vor Selbstverliebtheit krank ist.

3. Frieden.
Papst Franziskus hat den Frieden nie als bloßes Ideal verstanden, sondern als einen Auftrag, der aus dem tiefsten Inneren kommt – aus dem Wirken des Heiligen Geistes. So wie im heutigen Evangelium Jesus die Jünger, die sich verängstigt hinter verschlossen Türen verbarrikadiert hatten, sagt: Der Friede sei mit euch! - Immer wieder hat Papst Franziskus betont: Der Heilige Geist ist der wahre Protagonist der Kirche – wir sind nur seine Werkzeuge. Und so hat er unermüdlich dafür gebetet, dass dieser Geist uns lehrt, den Weg des Dialogs zu gehen – denn Frieden beginnt nicht in Verträgen, sondern im Herzen, im Schweigen des Gebets. Wenn Bomben fallen, wenn Völker sich zerreißen, wenn Gewalt herrscht – dann, so Franziskus, darf ein Hirte nicht stumm bleiben. Der Geist Gottes drängt uns, aufzustehen gegen Krieg und Hass, drängt uns, nicht müde zu werden im Einsatz für das Leben. Franziskus glaubte an den sanften, aber kraftvollen Sturm des Heiligen Geistes – einen Sturm, der Mauern niederreißen kann: die zwischen Völkern, die zwischen Konfessionen, aber auch die in unseren Herzen. Für ihn war das Gebet um Frieden keine Flucht, sondern eine stille Revolution – denn der Geist Gottes will Leben, nicht Tod. Und so sah er für die Kirche den Auftrag, Ort des Friedens zu sein, nicht durch Macht oder Einfluss, sondern durch Barmherzigkeit – durch das Wirken des Geistes, der in jedem Menschen das Ebenbild Gottes erkennt.

Wie sah der Heilige Vater, der aus Argentinien kam, vom „Ende der Welt“, wie er selbst sagte, die Grundform der Kirche?

Papst Franziskus hatte die Kirche des dritten Jahrtausends als eine synodale Kirche vor Augen – als eine Gemeinschaft, die miteinander auf dem Weg ist, nicht als eine Institution, die von oben herab bestimmt. Für ihn war die Synode nicht bloß ein Ereignis oder ein Treffen – sie ist ein Stil. Der Stil Jesu: zuhören, unterscheiden, gemeinsam den Weg suchen. Synodal zu sein bedeutet, einander ernst zu nehmen, den Anderen als von Gott gesandt zu begreifen – und im Miteinander zu entdecken, was der Heilige Geist uns heute sagen will. Es ist die Grundform der Kirche, sagt Franziskus – weil nur so das Volk Gottes wachsen kann: in Wahrheit, in Freiheit, in Verantwortung. Und das ist tröstlich – denn es heißt, dass niemand allein gehen muss, dass die Kirche ein Ort sein kann, an dem jede Stimme zählt und jede Wunde gesehen wird. Es ruft uns aber auch auf: Geh mit! Hör hin! Frag nicht zuerst: Wer hat Recht? – sondern: Wo ruft uns der Geist gemeinsam hin?

Und nun ist Papst Franziskus gegangen. Am Ostermontag um 7:35 Uhr. In der hellen Zeit unseres Glaubens an die Auferstehung.  Er, der Papst der Armen, der Schwachen, der Gedemütigten, eben jener, die niemand will – sie waren bei ihm zu Hause.

Und so schließt sich sein Lebenskreis an einem Ort, den er liebte wie keinen anderen: Santa Maria Maggiore in Rom.
Vor jeder Reise ging er dorthin. Über hundert Mal war er dort. Er ging in die Stille. Zu Maria. Dort betete er. Dort weinte er. Dort fand er Trost. Und nun ist dort seine letzte Ruhestätte.

Papst Franziskus hat uns nicht nur Worte und veränderte Strukturen hinterlassen. Er steht für einen neuen Stil des Christentums. Papst Franziskus hat uns einen Weg gezeigt – den Weg der Barmherzigkeit. Papst Franziskus hat uns gelehrt, dass Kirche dann glaubwürdig ist, wenn sie heilt, liebt und sich bückt. Nicht wenn sie herrscht.

Beten wir für ihn – und gehen wir weiter auf dem Weg, den er uns gezeigt hat. Nicht laut. Nicht triumphal. Sondern leise. Im göttlichen Geist der Barmherzigkeit. Mit Hoffnung. Mit offenen Augen. Und mit dem Mut, dem Blick Jesu zu trauen. Dem Blick, der nicht verurteilt. Sondern ruft.

Amen.