Wettstreit des Grauens

Ehemaliger Pariser Kardinal Jean-Marie Lustiger mahnt in Bergen-Belsen

Bergen-Belsen (bph) Die Welt ist nach dem Ende des Holocaust nicht friedlicher geworden. Es gebe vielmehr einen „Wettstreit des Grauens“ ließ der ehemalige Pariser Kardinal Jean-Marie Lustiger am Sonntag bei der Gedenkfeier zur Befreiung des Konzentrationslagers in Bergen-Belsen vor zahlreichen Vertretern der Opfer mitteilen. Lustiger, der Verwandte in Bergen-Belsen verloren hat, wäre gerne selbst gekommen. Da der emeritierte Kardinal aber erkrankt ist, wurde seine Rede verlesen.

Massenvernichtungen seien heute geradezu banale Ereignisse, bedauerte der Kardinal in seiner vorgelesenen Ansprache. Es gebe längst einen „Wettstreit bezüglich der Opfer, der angewandten Mittel zum Mord, bezüglich der Zurschaustellung und der Überbietung der Grausamkeiten.“ Die Nazi-Ideologie habe ihre Opfer nicht zuletzt auch dadurch erniedrigt, dass sie ihnen den Namen nahm und durch Nummern ersetzte. „Jeden Einzelnen in seinem Gegenübersein beim Namen zu nennen, ist für den Nazismus die schlimmste der jüdischen Erfindungen“, so Lustiger weiter. Er wünsche sich daher, dass auch den Opfern von Bergen-Belsen wieder ihr Name zurück gegeben werden, schloss der Kardinal.

Ein Gedanke, dem sich auch der niedersächsische Kultusminister Bernd Busemann anschloss. Seit geraumer Zeit versucht man, die rund 120.000 KZ-Opfer von Bergen-Belsen namentlich zu identifizieren. Bei 55.000 Häftlingen ist das bislang gelungen, außerdem kennt man die Namen von 10.000 der 50.000 Toten in den Massengräbern von Bergen-Belsen. Dennoch sei die verzögerte Aufklärung der Namen „kein Ruhmesblatt in der deutschen Nachkriegsgeschichte“ bedauerte der Minister.

Zum 62. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Bergen-Belsen waren bei strahlendem Sonnenschein einige ehemalige Häftlinge und Vertreter verschiedener Opferverbände gekommen. 50 Jugendliche eines Internationalen Workcamps trugen Kränze an die Inschriftenwand des ehemaligen Konzentrationslagers.

Kardinal Jean-Marie Lustiger war Jude und hat zwei seiner Angehörigen in Bergen-Belsen verloren. Während der NS-Zeit wurde er in einem katholischen Kloster versteckt und ist zum Katholizismus übergetreten. Im Februar 2005 legte Lustiger aus Krankheitsgründen die Leitung des Erzbistums von Paris nieder.

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