„Wer von Versöhnung reden will, muss erst vom Unversöhnten sprechen“
Bischof Wilmer beendet Reise ins Heilige Land
Bischof Dr. Heiner Wilmer SCJ, Bischof von Hildesheim und Vorsitzender der Deutschen Kommission Justitia et Pax, hat heute (12. November 2023) seine Solidaritätsreise ins Heilige Land beendet.
„Ich bin nicht hierhergekommen, um Ratschläge zu erteilen, sondern um zuzuhören, zu lernen und besser zu verstehen. In vielen Gesprächen habe ich gespürt, wie sehr sich die Menschen im Heiligen Land danach sehnen, dass ihre schmerzhafte Situation wahrgenommen wird. Es kommt darauf an, sie nicht alleine zu lassen. Es ist eine Zeit, in der es darauf ankommt zuzuhören und nicht vorschnell von Versöhnung zu sprechen. Denn wer von Versöhnung reden will, muss erst vom Unversöhnten sprechen. Alles andere würde von den Verletzten als mangelnder Respekt vor ihren Wunden erlebt werden.“
Während seiner Reise hat Bischof Wilmer verschiedene Repräsentanten der Kirche getroffen. Dabei suchte er das Gespräch mit Israelis und Palästinensern, mit Juden, Muslimen und Christen. Bei seinem Treffen mit dem Lateinischen Patriarchen von Jerusalem, Kardinal Pierbattista Pizzaballa, wurde deutlich, wie sehr sich die Kirche im Heiligen Land darum bemüht, an der Seite aller Opfer zu sein. Zugleich erlebt sie durch die wachsenden Konflikte zwischen Juden und Muslimen, dass sie erheblich unter Druck und auch Verdächtigungen gerät. Der Riss zwischen Palästinensern und Israelis ist auch in der Kirche spürbar. Umso bedeutsamer ist das Bemühen um eine Einheit als ein Zeichen des Friedens im Heiligen Land. Erzbischof Adolfo Tito Yllana, Apostolischer Nuntius in Israel und Delegat in Jerusalem und Palästina, hob hervor, welche Bedeutung der Einhaltung der Menschenrechte und insbesondere des humanitären Völkerrechts in der jetzigen Situation zukommt. Allein auf der Grundlage einer verlässlichen und stabilen Rechtsordnung, die sich an den Menschenrechten messe, werde auf lange Sicht ein belastbarer Frieden im Heiligen Land möglich sein. In der Begegnung mit Pater Gabriel Romanelli, katholischer Pfarrer von Gaza, wurde das Ausmaß der humanitären Katastrophe für die Bevölkerung in Gaza ersichtlich. Pater Romanelli betonte, dass die Hilfe für die Bevölkerung in Gaza überlebenswichtig sei. Es wäre unannehmbar, die Situation in Gaza als Kollateralschaden schulterzuckend hinzunehmen.
Rabbiner Gadi Gvaryahu, Leiter von Tag Meir, einer Organisation, die sich für die Förderung demokratischer Grundwerte einsetzt und gegen Rassismus kämpft, berichtete von der gefährlichen Spaltung innerhalb der israelischen Gesellschaft. Die Übergriffe der jüdischen Siedler in der Westbank, gegen die die israelische Regierung erkennbar nicht angemessen einschreitet, verschärfen die Spannungen zwischen Juden und Palästinensern. Es wird darauf ankommen, dass auch der jüdische Teil der Gesellschaft auf seine Verletzungen anders als allein mit Gewalt reagiert. Vor diesem Hintergrund sind alle Bemühungen um interreligiöse und interkulturelle Zusammenarbeit von unschätzbarem Wert. Ähnlich äußerte sich auch Prof. Dr. Sari Nusseibeh von der Al-Quds-Universität.
Die Begegnung mit der Schwesterkommission Justitia et Pax im Heiligen Land war von einem gemeinsamen Nachdenken darüber geprägt, wie die unterschiedliche Perspektive auf die aktuelle Situation im Heiligen Land in einer angemessenen Sprache zum Ausdruck gebracht werden kann. Dabei stellten die Vertreter von Justitia et Pax im Heiligen Land die Frage, ob in Deutschland die Empathie für alle Leidenden – unabhängig von ihrer ethnischen oder religiösen Herkunft – wirklich gegeben sei. Sie würdigten den Besuch in der Gedenkstätte Yad Vashem. Dort hatte Bischof Wilmer am 9. November 2023, dem 85. Jahrestag der Reichspogromnacht, in einer offiziellen Zeremonie einen Kranz niedergelegt.
Während der Reise war die Delegation zu Gast in der Dormitio Abtei der Benediktiner in Jerusalem und dem dazugehörigen Priorat in Tabgha am See Genezareth. In der Dormitio Abtei traf Bischof Wilmer bei einem Taizé-Gebet mit dem Theologischen Studienjahr zusammen. Dabei fand ein reger Austausch mit Abt Nikodemus Schnabel OSB und seinen Mitbrüdern statt, der immer wieder das Augenmerk auf die Vielschichtigkeit der kirchlichen Situation im Heiligen Land richtete. In diesem Zusammenhang stand auch ein gemeinsamer Gottesdienst, den Bischof Wilmer mit der philippinischen Migrantengemeinde in Tel Aviv feierte. Ein Großteil dieser Christinnen und Christen lebt unter prekären Bedingungen in Israel und ist vielfältigen Diskriminierungen bis hin zu Missbrauch ausgesetzt. Nicht wenige von ihnen müssen in der Illegalität leben. Gestern (11. November 2023) war Bischof Wilmer eingeladen, gemeinsam mit Patriarch Kardinal Pizzaballa und weiteren Bischöfen sowie Abt Nikodemus das Fest der Brotvermehrung in Tabgha zu feiern. In seiner Ansprache im Gottesdienst betonte Bischof Wilmer: „Wir Männer und Frauen des Glaubens repräsentieren keine religiösen Parteien. Wir dürfen keine Verfechter partikularer Interessen sein. Wir sind Gottes Gesandte für den Frieden.“
Die Erfahrungen der Begegnungen und die Anliegen der Gesprächspartner nahm Bischof Wilmer mit bei einem frühmorgendlichen Gottesdienst in der Jerusalemer Grabeskirche. Zum Abschluss der Reise resümierte er: „Das Zeugnis der Christinnen und Christen im Heiligen Land ist nicht nur bedeutsam für Israel und Palästina – es ist von großer Wichtigkeit für die Weltkirche. Die Christinnen und Christen stehen dafür, dass Unrecht und Gewalt nicht das letzte Wort haben werden und treten dafür ein, die Welt mit den Augen der Verwundeten zu sehen. Die Situation im Heiligen Land ist zutiefst von Gewalt und Misstrauen geprägt. Es steht der Verdacht im Raum, dass unter dem Deckmantel der Selbstverteidigung der Gewalt nicht die erforderlichen Grenzen gesetzt werden. Auch legitime Selbstverteidigung entbindet nicht von der Pflicht, die Zivilbevölkerung zu schützen. Beeindruckt hat mich, dass ich Menschen getroffen habe, die trotz all der Gewalt, all des Misstrauens, all der Verwundung an der Vision eines friedlichen Zusammenlebens festhalten und die bereit sind, sich unter erheblichen Risiken dafür einzusetzen. Diese Menschen verdienen unsere Solidarität.“