Von Schlägern und Seelsorgern
Ein Kolloquium beleuchtete die Geschichte des Domkapitels im Bistum Hildesheim
Hildesheim (bph) Es tritt meist nur dann ins Rampenlicht der Öffentlichkeit, wenn es einen neuen Bischof wählt: das Domkapitel des Bistums Hildesheim. Doch das war früher ganz anders, als die Domkapitulare eigene Ländereien hatten und oft mächtiger wurden als der Bischof. Die wechselhafte Geschichte dieses diözesanen Leitungsgremiums beleuchtete am Samstag, 19. November, ein Kolloquium unter dem Titel „Das Hildesheimer Domkapitel. Dem Bistum verpflichtet“ im Bischöflichen Generalvikariat. Eingeladen hatte der Verein für Geschichte und Kunst im Bistum Hildesheim gemeinsam mit dem Dombauverein.
Wo es Leitung gibt, da finden sich meist auch Beratungsgremien. Das ist in der katholischen Kirche nicht anders als in Staat und Gesellschaft. Nur wenige kirchliche Einrichtungen haben daher eine so lange Geschichte wie die Domkapitel der Bistümer. Schon im ersten Jahrtausend sind sie nachgewiesen und entwickelten sich im Laufe der Jahrhunderte von einem Kreis einflussreicher Priester um den Bischof zu eigenständigen Rechtskörpern mit eigenen Finanzen, wie Prof. Dr. Helmut Flachenecker aus Würzburg in seinem Vortrag nachwies. Selbstbewusst bezeichneten sich die Domkapitel des frühen Mittelalters als Körper einer Diözese, während der Bischof dessen Kopf sei. Der Macht dieses priesterlichen Beraterkreises, dem oft ausgedehnte Ländereien gehörten, entsprach denn auch der Satz „Bischöfe kommen und gehen, das Domkapitel aber bleibt bestehen.“ Dies gilt auch für das Bistum Hildesheim, wo ein Domkapitel schon seit Bischof Altfrid im neunten Jahrhundert nachgewiesen ist. Es war zu Zeiten von Bischof Bernward nicht nur finanziell stark, sondern auch theologisch so gut aufgestellt, dass es nicht weniger als 44 deutsche Bischöfe hervor brachte, wie Prof. Dr. Hans-Georg Aschoff darlegte.
Das sollte sich später ändern. In barocken Zeiten, da adlige Bischöfe Bischofssitze sammelten, wurden auch im Domkapitel theologische Qualifikationen zweitrangig. Das Hildesheimer Aufschwörungsbuch, über das Dr. Christian Schuffels aus Kiel berichtete, zeigt die Stammbäume der durchweg adligen Domherren des Barock. Domkapitular durfte damals nur werden, wer aus einer katholischen adligen Familie stammte und dies auch über mehrere Generationen nachweisen konnte. Da Norddeutschland damals schon überwiegend protestantisch war, kamen dafür nur wenige Familien in Betracht, die sich auch nicht immer mochten. Da konnte es innerhalb des Domkapitels auch schon einmal zu Schlägereien kommen, die in mindestens einem Falle tödlich endeten, wie Dr. Alexander Dylong aus seinen Forschungen zu erzählen wusste.
Doch es gab auch kunstsinnige und hoch gebildete Domkapitulare. Dies wies der Direktor der Dombibliothek, Jochen Bepler, beispielhaft in seinem Vortrag über den Domkapitular Freiherr von Reuschenberg nach, der in seinem kurzen Leben viel reiste und sich dabei einen wertvollen Bücherschatz zusammen kaufte. Dr. Thomas Scharf-Wrede, dem Hildesheimer Bistumsarchivar, fiel es schließlich zu, einen kurzen Überblick über die vergangenen zwei Jahrhunderte zu geben. Die Säkularisation zu Beginn des 19. Jahrhunderts bedeutete nach seinen Worten einen „völligen Neustart“ für das Domkapitel, dem fortan ausgewiesene Seelsorger angehörten, die nicht selten auch wissenschaftlich hoch gebildet waren.
Das Hildesheimer Domkapitel gibt es bis heute und wird geleitet von Domdechant Weihbischof em. Hans-Georg Koitz. In einem kurzweiligen Vortrag ließ Koitz die zahlreichen Zuhörer im großen Saal des Bischöflichen Generalvikariats teilhaben an den vielfältigen Aufgaben dieses Gremiums, die heute meist geistlicher, nicht mehr weltlicher Natur sind. „Schön, dass der liebe Gott mich erst in neuen Zeiten geschaffen hat“ bekannte der Weihbischof lachend mit Blick auf seine mittelalterlichen Vorgänger, die eher Regenten als Theologen gewesen waren. „Keiner der heutigen Domkapitulare ist Adliger“ versicherte er. Dennoch haben alle das Recht, einmal auf dem Annenfriedhof des Doms begraben zu werden – eine der angenehmen Seiten des Daseins als Domkapitular, wie er lächelnd bemerkte.
Das Kolloquium „Das Hildesheimer Domkapitel. Dem Bistum verpflichtet“ war die Auftaktveranstaltung einer Reihe ähnlicher Kolloquien, die bis zum 1.200jährigen Bistumsjubiläum 2015 jährlich wiederholt werden sollen. In diesen fünf Veranstaltungen wollen der Verein für Geschichte und Kunst im Bistum Hildesheim und der Dombauverein „der Bedeutung und der Funktion des Hildesheimer Mariendoms durch zwölf Jahrhunderte seines Bestehens hindurch nachspüren“ und Impulse für die Weiterentwicklung des Bistums suchen, wie es in einer Erklärung von Bistumsarchivar Dr. Thomas Scharf-Wrede, dem Vorsitzenden des Vereins für Geschichte und Kunst im Bistum Hildesheim, und Dr. Konrad Deufel, dem Vorsitzenden des Dombauvereins, heißt. Das Interesse an dieser ersten Veranstaltung war wesentlich größer, als erwartet. Rund 130 Interessierte kamen in das Bischöfliche Generalvikariat.