Unfreiwillige Helfer im Weinberg des Herrn
Bistumsarchiv ermittelt 124 ehemalige Zwangsarbeiter im Bistum Hildesheim
Hildesheim (bph) Mindestens 124 Zwangsarbeiter haben zwischen 1939 und 1945 in Einrichtungen des Bistums Hildesheim gearbeitet. Das haben Recherchen unter der Leitung von Bistumsarchivar Dr. Thomas Scharf-Wrede ergeben. Jene zwölf, die noch ermittelt werden konnten, wurden über den „Entschädigungsfonds für Zwangs- und Fremdarbeiter in kirchlichen Einrichtungen“ der Deutschen Bischofskonferenz entschädigt.
Eingerichtet wurde dieser Entschädigungsfonds am 28. August 2000. Damals intensivierten die Bistümer auch ihre Recherchen zu Zwangsarbeitern auf ihrem jeweiligen Bistumsgebiet. Nicht sehr ergiebig war die Forschungsarbeit im Bistum Hildesheim. „Insgesamt muss die Quellenlage als relativ gering und unbefriedigend bezeichnet werden,“ bedauert Bistumsarchivar Dr. Thomas Scharf-Wrede. Lediglich im Eichsfeld und in der Stadt Hannover habe man ausreichende Überlieferungen von kirchlichen Einrichtungen, Krankenkassen und Einwohnermeldeämtern sowie Archiven gefunden. Die Zusammenarbeit mit der AOK Niedersachsen und den Ordnungsämtern sei allerdings sehr fruchtbar gewesen, sagt Scharf-Wrede anerkennend.
Gesichert ist, dass mindestens 124 Zwangarbeiter aus zehn Ländern im Bistum Dienst taten. Die meisten kamen aus Polen (39), Belgien (20) und aus der ehemaligen UdSSR (18). Frauen waren mit 88 deutlich in der Überzahl. Weit mehr als die Hälfte, nämlich 80, waren nach 1910 geboren, also während ihrer Zwangsarbeit noch sehr jung. Fünf entstammten sogar den Geburtsjahrgängen 1930 bis 1939. So gut wie alle, nämlich 120, wurden in der Hauswirtschaft und bei Gartenarbeiten eingesetzt. Vier Zwangsarbeiter übernahmen qualifiziertere Tätigkeiten wie zum Beispiel Krankenpflege.
Konkrete Beispiele haben Scharf-Wrede und seine wissenschaftlichen Mitarbeiter für die Niederlassung der Ursulinen in Duderstadt und Hannover gefunden. Alle übrigen recherchierten Zwangsarbeiter arbeiteten in den Niederlassungen der Schwestern vom Heiligen Vinzenz von Paul, meist in Krankenhäusern und Heimen. Wie viele Zwangsarbeiter insgesamt im Bistum Hildesheim Dienst taten, lässt sich nicht sagen. Scharf-Wrede schätzt deren Zahl auf höchstens 180.
Soweit man das aus den wenigen Unterlagen schließen kann, wurden die Zwangsarbeiter im Bistum Hildesheim relativ gut behandelt. Sie konnten unter anderem an den „normalen“ Gemeindegottesdiensten teilnehmen und nicht selten entwickelten sich Freundschaften. Die 19jährige Lydia O. aus Charkow etwa wurde 1942 verschleppt und kam 1943 zu den Ursulinen nach Duderstadt, wo sie das klösterliche Leben kennen lernte. Nach Kriegsende trat sie in den Orden ein und ging als Ursulinen-Ordensschwester nach Brasilien.
Aus den Niederlanden wurde der 19jährige Herman H. nach Deutschland verschleppt. Als Theologiestudent trug er einen Talar und wurde von einem katholischen Unterlagerführer in die Bischofsstadt Hildesheim vermittelt. Dort arbeitete der Niederländer im St. Bernwardskrankenhaus der Vinzentinerinnen. „Die Schwester Oberin und die Schwestern waren die Güte und Gastfreundschaft in Person“, schrieb er später in seinen Erinnerungen.
Für ganz Deutschland lassen sich 4.519 ausländische Zwangsarbeiter in kirchlichen Einrichtungen nachweisen. Das ist verschwindend wenig im Vergleich zu den insgesamt rund 8,4 Millionen Zwangsarbeitern in ganz Deutschland. Lediglich 594, also 42 Prozent, dieser Zwangsarbeiter in kirchlichen Einrichtungen konnten ermittelt werden und lebten noch. Sie erhielten eine Entschädigung von jeweils rund 2.550 Euro.