Tradition ist etwas Lebendiges
Walter Kardinal Kasper sprach beim Katholischen Forum Niedersachsen über „Glaube und Vernunft“
Hildesheim/Wolfenbüttel (bph) Natürlich kam sie dann doch noch auf den Tisch, die doppelte P-Frage. Davor kann sich zur Zeit wohl kein hochrangiger Katholik drücken, schon gar nicht, wenn er Walter Kardinal Kasper heißt und Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen ist. Im Gespräch mit Journalist Dr. Daniel Deckers gewährte der deutsche Kardinal am Donnerstagabend beim I. Wolfenbütteler Forum „Glaube und Vernunft“ in der Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel interessante Einblicke in seine Gedankenwelt und gab schließlich einen kurzen Kommentar ab – zu Papst und Piusbrüdern.
Vieles drehte sich an diesem Abend, zu dem das „Katholische Forum Niedersachsen“ eingeladen hatte, um das Verhältnis von Glaube und real existierender Welt. Und wir leben nun einmal in der „Neuzeit“ – ein Begriff, der öfter fiel an diesem Abend. Dazu passte die Frage, auf die alle gewartet hatten und die der exzellent vorbereitete Theologe und Journalist Deckers dem römischen Kardinal in einem Dialoggespräch vor den rund 120 geladenen Gästen aus Kirche und Gesellschaft dann schließlich stellte: Wie steht es mit dem Papst und den Piusbrüdern? Abseits aller Verfahrensfragen, bei denen nach Kaspers Ansicht im Vatikan vieles schief gelaufen ist, sieht der Kardinal das eigentliche Grundproblem der Piusbruderschaft in deren statischen Verhältnis zur Tradition. „Nach deren Verständnis ist die Tradition irgendwann zum Stehen gekommen“, sagte der Kardinal und einstige Bischof von Rottenburg-Stuttgart. „Tradition ist aber etwas Lebendiges, das sich weiter entwickelt.“
Genau darum sei das Zweite Vatikanische Konzil eben kein Bruch der Tradition, wie von den Piusbrüdern oft angedeutet, sondern stehe auf dem Boden katholischer Traditionen. „Das Konzil ist längst bei den Katholiken angekommen und auch angenommen“, sagte Kasper in Wolfenbüttel wörtlich, „kein Papst kann dahinter zurück.“ Das wolle der jetzige Papst Benedikt XVI. auch gar nicht, zeigte sich Kasper überzeugt. Die Piusbruderschaft müsse sich zum Zweiten Vatikanischen Konzil bekennen. Und wenn nicht? „Dann wird es wohl zum endgültigen Bruch kommen“, glaubt der Präsident des Päpstlichen Rates zur Einheit der Christen.
Bei Martin Luther habe der damalige Papst den Fehler gemacht, zu schnell auf Konfrontation und Ausschluss zu setzen statt auf Dialog. Diesen Fehler wollte Benedikt XVI. nach Kaspers Überzeugung nicht wiederholen. Längst habe die katholische Kirche von Martin Luther gelernt, zum Beispiel in Fragen der Bibelauslegung. Inzwischen ist Luther nach Kaspers Worten „eine Quelle der Reflexion für beide Kirchen“ und der Protestantismus habe viel zur Ausprägung der Moderne beigetragen.
Ein Christ muss mit der Neuzeit umgehen, daran ließ Kasper keinen Zweifel. Doch wohin wird der Weg führen? Die Zeiten, in denen das Zentrum des Christentums in Europa lag, sind nach Kaspers Worten vorbei. Die Zukunft der Kirchen liegt in Asien. Gegen die Glaubenskraft dieses Kontinents habe Europa nur eine Chance, wenn es sich auf seine Wurzeln besinne.