Sünde, Sex und Sahnetorte
„Lebenslust“ war Thema beim Jahresempfang des Hildesheimer Bischofs in Marienrode
Hildesheim-Marienrode (bph) Gesundheit ist für viele Menschen zur Ersatzreligion geworden und sein Leben kann nur genießen, wer um seine Sterblichkeit weiß. Provozierende Behauptungen, die der Kölner Psychiater Dr. Manfred Lütz seinen Zuhörern zumutete. Beim Jahresempfang des Hildesheimer Bischofs Norbert Trelle in Marienrode sprach Lütz am Donnerstagabend vor Gästen aus Politik, Kirche und Gesellschaft zu „Lebenslust – Über Risiken und Nebenwirkungen der Gesundheit“.
Gesundheit ist zu einer Weltreligion geworden. Diese Religion ist egoistisch, totalitär und humorlos und sie hindert die Menschen daran, zu leben. Mit deutlichem Augenzwinkern sprach der Kölner Psychiater Lütz – „zuständig für den Irrsinn im Süden Kölns“ – als Arzt über seine Berufskollegen und deren Patienten. Ob nun Autobahnen als Wallfahrtstraßen zum gelobten Gesundmacher oder Krankenhäuser als moderne Kathedralen: Überall sieht Lütz Parallelen zwischen Gesundheitswahn und Religion. Urkomisch, wie der Arzt und Buchautor die Leiden eines Marathonläufers darstellte; scharf beobachtet, wie der Chefarzt typische Chefarztvisiten in deutschen Krankenhäusern beschrieb. Das Lachen der Zuhörer verriet, dass viele sich wiedererkannten. Doch Lütz gelang es immer wieder, diese Lacher auch einzufangen und den ernsten Kern herauszukehren. Wenn noch immer gilt: wer heilt, hat Recht! Dann ist der Weg nicht mehr weit, dass man bedenkenlos Embryonen opfert, um Parkinsonkranken zu helfen, befürchtet Lütz.
Wer immer nur vorbeugend lebt, verpasst nach Überzeugung des Arztes das eigentliche Leben. Nur wer sich seiner Vergänglichkeit bewusst ist und dieser auch stellt, kann jeden Augenblick genießen. Dazu gehört dann eben auch mal ein großes Stück Sahnetorte, die Currywurst und nicht zuletzt – der Geschlechtsverkehr als Ahnung des Göttlichen.
Bischof Norbert Trelle hatte zum traditionellen Jahresempfang zahlreiche Persönlichkeiten des kirchlichen und öffentlichen Lebens nach Marienrode geladen. Rund 250 Gäste waren am Donnerstagabend der Einladung gefolgt, darunter der niedersächsische Landesminister Bernd Busemann und der ehemalige niedersächsische Ministerpräsident Ernst Albrecht sowie die evangelischen Landesbischöfe Dr. Friedrich Weber (Braunschweig) und Jürgen Johannesdotter (Schaumburg-Lippe). Auch Vertreter der Ostkirchen, der Jüdischen Gemeinde und islamische Würdenträger folgten der Einladung des Bischofs.