Seelenschmerz bei „Autopsie“
Für wenige Jahre bleibt der mittelalterliche „Albani-Psalter“ ungebunden
Hildesheim (bph). Im Jahre 2005 hat man ihm seinen Einband genommen, frühestens 2015 soll der Albani-Psalter wieder als Buch in die Hand zu nehmen sein. Im Jahrzehnt dazwischen liegen die Einzelseiten dieses mittelalterlichen Schatzes gut gesichert im Tresor der Hildesheimer Dombibliothek. Das Bistum Hildesheim nutzt dieses Zeitfenster für eine ungewöhnliche Ausstellung: Vom 12. September bis 24. Januar nächsten Jahres sind alle Einzelseiten des Albani-Psalter mit ihren brillanten Miniaturen unter dem Titel „Gottesfurcht & Leidenschaft“ im Hildesheimer Dom-Museum zu sehen.
Es muss wie in einem Operationsaal gewesen sein: Er trug Handschuhe und näherte sich dem Objekt millimeterweise mit Messer und Spatel. Irgendwann durchtrennte Restaurator Heinrich Grau aus Wolfenbüttel den Faden, der alle Seiten zusammen hielt, quasi den Lebensnerv der Handschrift. „Es war wie bei einer Autopsie. Das tat mir in der Seele weh“, beschreibt Jochen Bepler, Direktor der Hildesheimer Dombibliothek, sichtlich bewegt jenen Moment vor rund vier Jahren, als die Restauratoren den Bucheinband des Albani-Psalter entfernten und das Werk damit in seine Einzelseiten zerlegten. Danach kamen die Fotografen und bannten jede einzelne Seite auf Film – damals noch analog, wegen der besseren Qualität. Speziell ausgebildete Drucker brachten die Fotos dann auf Spezialpapier. So konnte das wertvolle mittelalterliche Einzelstück, dessen Wert Jochen Bepler auf mindestens 30 Millionen Euro schätzt, schließlich in langen Arbeitsprozessen vervielfältigt werden. Heute ist das Faksimile des Albani-Psalters als aufwändig gestaltetes Buch zu kaufen – für rund 12.000 Euro pro Stück.
Man hätte die Einzelseiten mit ihren detaillierten Miniaturen aus dem Leben Jesu, mit all ihren Bildern aus den Heiligenlegenden und nicht zuletzt den 215 großartigen Initialbuchstaben auch sofort wieder binden können. Doch warum die historisch einmalige Chance nicht nutzen und den Albani-Psalter mit seinen Einzelseiten ausstellen? Genau diese Idee steht hinter der Ausstellung „Gottesfurcht & Leidenschaft“, die am 12. September im Dom-Museum beginnt. Sie zeigt nicht nur die Handschrift selbst, sondern auch das geschichtliche Umfeld des mittelalterlichen Werkes. Ein eigener Ausstellungsteil führt die Besucher in die spannende Welt mittelalterlicher Skriptorien, wo sie die Entstehung einer Handschrift vom Pergament bis zur prachtvollen Zeichnung nachvollziehen können. Führungen und eine internationale Tagung am 5. und 6. November runden das Ausstellungsprogramm ab.
Wenn sich am 24. Januar die Tore des Dom-Museums dann wieder schließen, wandert der Albani-Psalter zurück in den Tresor der Dombibliothek. Dort muss er zunächst einige Zeit ausruhen. „Pergament arbeitet“, erklärt Bibliotheksdirektor Bepler, „es hat die Tendenz, sich in seine Ursprungsform zurück zu rollen“. Und das war nun mal nicht die Form der akkuraten Buchseite, sondern der Rücken eines Schafes oder die Seite eines Rindes. Dies erklärt auch, warum die Einzelseiten in aufwändigen Passepartouts aufbewahrt werden, so dass sie nicht direkt aufeinander liegen. Jedes Verziehen der Pergamentseiten soll verhindert werden. Dass die Ausstellungsmacher zudem für konstante Luftfeuchtigkeit sorgen und jedes grelle Licht vermeiden, versteht sich ohnehin von selbst.
Vermutlich wird der unersetzliche Psalter danach noch mehrmals zu sehen sein. Museen in England und den USA sind im Gespräch. Spätestens 2015 soll er dann wieder gebunden werden. Den alten Einband aus dem Jahre 1939 wird er aber nicht mehr bekommen. Der stammte vom Hildesheimer Buchbinder Sackmann und entsprach dem damaligen Zeitgeschmack. Wie die Handschrift vor 1939 gebunden war, weiß man nicht. Bepler vermutet, dass die früheren Besitzer – die Mönche von St. Godehard in Hildesheim – den Einband zur Zeit der Säkularisation entfernt haben, um den Wert der Handschrift zu verschleiern und sie damit vor der Beschlagnahmung zu retten. Für 2015 wünscht sich der Bibliotheksdirektor und Albani-Kenner jedenfalls einen Einband, der einerseits die reiche Geschichte des Buches berücksichtigt, aber dennoch zeitgenössisch ist. „Wenn eine solche Synthese aus Geschichtlichkeit und Moderne gelänge, wäre dies das Beste für den Albani-Psalter“, glaubt Jochen Bepler.
Information zur Ausstellung:
“Der Albani-Psalter – Gottesfurcht und Leidenschaft“,
12. September 2009 bis 24. Januar 2010,
Dom-Museum Hildesheim, Domhof 4, 31134 Hildesheim
Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag 10 bis 17 Uhr,
Heiligabend, 1. Weihnachtstag, Silvester und Neujahr geschlossen
Eintritt: 6 Euro (4 Euro)