Schlagende Argumente
Katholisches Forum Niedersachsen diskutierte die Gewalt bei jungen Männern
Hildesheim/Hannover (bph) Sie versagen, sie schlagen, sie verweigern sich: Überflüssige junge Männer sind ein Problem. Sind sie das wirklich? Für wen? Und wer trägt Schuld daran? Spannende Fragen, die das „Katholische Forum Niedersachsen“ am vergangenen Mittwoch mit renommierten Experten diskutierte. Wer dazu in die Eisfabrik in Hannovers Südstadt kam, wurde nicht enttäuscht: Die Podiumsdiskussion überraschte mit interessanten Theorien – und hatte einen hohen Unterhaltungswert.
Die Nachrichten der vergangenen Monate waren erschreckend: Münchner Jugendliche prügeln einen Rentner krankenhausreif, junge Männer treten vermummt und in Gruppen der Polizei entgegen. Sie geben sich furchteinflößend – und sind doch oft nur die Gescheiterten unserer Gesellschaft: Schulversager, arbeitslos, ganz unten. Wie ist dieses Phänomen der „überflüssigen jungen Männer“ zu werten, dem das Katholische Forum den treffenden Titel „Draussen, unten, unter sich“ gab?
Den Part des Aufregers hatte unter der souverän-zurückhaltenden, aber dezent provozierenden Moderation von Dr. Matthias Woiwode, Persönlicher Referent des Generalvikars, Prof. Dr. Gunnar Heinsohn vom Institut für Xenophobie- und Genozidforschung von der Universität Bremen übernommen. Sein simpler, geradezu verblüffend einfacher Erklärungsansatz: Jungengewalt entsteht vor allem dann, wenn überzählige jüngere Söhne geringere wirtschaftliche Chancen haben als die Erstgeborenen. Fast notwendigerweise müssen sie ihr Heil außerhalb der Familie suchen, und tun dies nicht selten mit Gewalt. Viele Kriege der Vergangenheit, aber auch die Bandenkriege in Südamerika könnten darin eine ihrer Wurzeln haben. Mochten ihm die Zuhörer bis hierher noch folgen, so brachte Heinsohn doch Teile des Publikums gegen sich auf, als er junge Mütter zum Teil des Problems und damit auch zu einem potentiellen Lösungsansatz erklärte. In den USA ging die Zahl der unehelichen Kinder deutlich zurück, als der frühere US-Präsident Bill Clinton die Fürsorge für alleinerziehende Mütter einschränkte, rechnete Heinsohn vor.
Bringt der Rückbau des Sozialstaates demnach junge Frauen zur Vernunft, indem er ihnen die Möglichkeit nimmt, sich durch regelmäßige Schwangerschaften einen quasi „beamtenähnlichen Status“ zu erwerben, wie es Heinsohn plakativ auf den Punkt brachte? Da hielt es Dr. Dorothea Kolland, Musikwissenschaftlerin und Soziologin sowie Leiterin des Kulturamtes Berlin-Neukölln, kaum auf ihrem Sitz. Durch intensive Gespräche mit ihrem Sohn und einigen Migranten kommt sie zu einem anderen Schluss: Der Mangel an Respekt ist das Problem – nicht etwa der Migranten gegenüber der Mehrheitsgesellschaft, sondern der Deutschen gegenüber den Migranten. Diese seien zum „ständigen Kampf um ihre Ehre“ gezwungen, behauptete die streitbare Dame und beklagte die objektiv schlechten Bildungschancen für Migranten.
Prof. Dr. Heinz Bude vom Hamburger Institut für Sozialforschung hakte beim Begriff der Ehre nach. Hierin unterscheiden sich nach seiner Ansicht die ostdeutschen jungen Männer kaum von Migranten in Westdeutschland. Sie bemühen einen überkommenen Ehrbegriff, mit dem sie unbewusst die längst untergegangene Lebenswelt ihrer Väter und Großväter bemühen: einer Welt, in der der Mann noch Arbeit hatte und das unumstrittene Oberhaupt der Familie war. Dieser Ehrbegriff in Verbindung mit dem Erlebnis des Bildungsversagen führt nach seinen Untersuchungen dazu, dass sich solche jungen Männer selbst aus der Gesellschaft ausschließen.
Bei so viel markantem Expertenprofil blieb der Theologin und Publizistin Dr. Antje Vollmer, Vizepräsidentin a.D. des deutschen Bundestages, eigentlich nur die Rolle der ausgleichenden Politikerin. Sie sieht in den vergreisenden Gesellschaften des Westens eine friedenspolitische Chance: Da es immer weniger junge Männer gibt, die zudem auf einen sich stabilisierenden Arbeitsmarkt treffen, kann man nach ihrer Ansicht schon fast von „kriegsunfähigen Gesellschaften“ sprechen. Die Diskussion um eine gewaltfreie Politik wird vor diesem Hintergrund in der Zukunft eine neue Bedeutung gewinnen, glaubt Vollmer.