Philosophischer Buchpreis 2016 für Albrecht Koschorke
Preisverleihung am 09. September 2016 in der Dombibliothek Hildesheim
Der Literaturwissenschaftler Prof. Dr. Albrecht Koschorke wird mit dem Philosophischen Buchpreis 2016 ausgezeichnet, den das Forschungsinstitut für Philosophie Hannover (fiph) alle zwei Jahre vergibt. Das fiph ist eine wissenschaftliche Einrichtung des Bistums Hildesheim.
Das Buch „Hegel und wir. Frankfurter Adorno-Vorlesungen 2013“ (Suhrkamp Verlag 2015) des Literaturwissenschaftlers Prof. Dr. Albrecht Koschorke (Universität Konstanz) wird mit dem Philosophischen Buchpreis 2016 ausgezeichnet.
Das Thema des diesjährigen Buchpreises lautet „Sehnsuchtsort Europa“. Der Philosophische Buchpreis wird alle zwei Jahre vom Forschungsinstitut für Philosophie Hannover (fiph) vergeben. Damit möchte das fiph die Aufmerksamkeit auf drängende philosophische Gegenwartsfragen lenken. Die Nominierung der Titel erfolgt durch die Buchverlage. Ausgezeichnet wird jeweils die beste Neuerscheinung der letzten drei Jahre zu einem aktuellen Themenbereich der praktischen Philosophie.
Mit seinem Buch „Hegel und wir“ setzt Albrecht Koschorke die Frage nach einem Europa-Narrativ für die Gegenwart auf die philosophische Agenda. Die Ausgangsfrage des Buches lautet: „Was hat Hegels grandiosen Weltentwurf möglich gemacht? Und was lässt etwas Entsprechendes heute nicht zu – jedenfalls nicht im Welthorizont von Europa?“ Koschorkes Leitinteresse richtet sich dabei auf den Vergleich zwischen Preußen um die Wende zum 19. und Europa um die Wende zum 21. Jahrhundert. Gekonnt versteht es Koschorke, im vergleichenden Blick auf die Geschichtsphilosophie Hegels und die Gegenwart die Frage nach den Chancen und Grenzen eines Europa-Narrativs auszuloten. Der Gedankengang bietet eine tiefgründige Kontextualisierung der Hegelschen Geschichtsphilosophie, durch die es dem Autor gelingt, die Bedeutung des Narrativen bei Hegel überzeugend herauszuarbeiten. Vor dem Hintergrund dieser Großerzählung legt Koschorke den Blick auf die Aufgabe für Europa heute frei. Europas Zukunft ist nicht die Zukunft einer Großnation, seine Narrative sind postheroisch grundiert. Es ist der kulturelle Reichtum Europas, so Koschorke, der das Potential bietet, „sich in der Welt der vielen Geschichten, großen und kleinen, neu zu erfinden – als weltoffenes, abgrenzungsschwaches, unfertiges Zukunftsprojekt“. Es gelingt Koschorke, dem Leser/der Leserin mit sprachlicher Eleganz die Anziehungskraft und politische Bedeutung von Sinndiskursen vor Augen zu führen. Ein wichtiges Buch in dürftiger Zeit.
Mitglieder der Jury: Prof. Dr. Ulrich Hemel (Universität Regensburg), Prof. Dr. Markus Kotzur (Universität Hamburg), Prof. Dr. Armin Nassehi (Ludwig-Maximilians-Universität München), Prof. Dr. Birgit Recki (Universität Hamburg), Prof. Dr. Thomas Schmidt (Universität Frankfurt), Generalvikar Dr. Werner Schreer (Diözese Hildesheim), PD Dr. Jörg-Dieter Wächter (Universi-tät Hildesheim/Bistum Hildesheim), Prof. Dr. Saskia Wendel (Universität Köln).
Der Preis, der mit 3000 € dotiert ist, wird am Freitag, den 09. September 2016, um 19.30 Uhr in der Dombibliothek in Hildesheim durch den Vorstandsvorsitzenden der Stiftung „Forschungsinstitut für Philosophie“, Prof. Dr. Ulrich Hemel, in einer öffentlichen Feier überreicht. Die Lau-datio wird die Philosophin Prof. Dr. Birgit Recki (Universität Hamburg) halten. Eine Anmeldung ist erforderlich.
Frühere Preisträger:
2010 Prof. Dr. Andreas Lienkamp (Universität Osnabrück): „Klimawandel und Gerechtigkeit. Eine Ethik der Nachhaltigkeit in christlicher Perspektive“ (Paderborn: Schöningh 2009)
2012 Prof. Dr. Avishai Margalit (Hebrew University/Princeton University): „Über Kompromisse und faule Kompromisse“ (Berlin: Suhrkamp 2011)
2014 Dr. Sascha Dickel (Technische Universität München): „Enhancement-Utopien. Soziologische Analysen zur Konstruktion des Neuen Menschen“ (Baden-Baden: Nomos 2011)
Ausschreibungstext des diesjährigen Buchpreises:
Sehnsuchtsort Europa
Europa versteht sich als eine Verantwortungs- und Wertegemeinschaft. Zu den Werten gehören „die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte einschließlich der Rechte der Personen, die Minderheiten angehören“. Es heißt, dass diese Werte allen Mitgliedsstaaten in einer Gesellschaft gemeinsam seien, „die sich durch Pluralismus, Nichtdiskriminierung, Toleranz, Gerechtigkeit, Solidarität und die Gleichheit von Männern und Frauen auszeichnet“ (Vertrag von Lissabon). Dieses Selbstverständnis macht Europa für viele Menschen attraktiv. Europa zehrt von einem ideellen Überschuss, der sich nicht auf ökonomische und militärische Überlegungen reduzieren lässt. Welche Utopien löst dieses Projekt aus? Wie gelingt es, die Werte in ihrer Universalität und Lokalität Wirklichkeit werden zu lassen? Welche Bedeutungsverschiebungen ergeben sich daraus für das Verständnis von Grenzen? Europa steht für ein Versprechen, das mehr meint als Rechtsstaatlichkeit, das eine besondere Lebensqualität bezeichnet, die mit einer Sehnsucht nach einem guten Leben verbunden ist. Aber wie sieht gutes Leben in Europa aus? Gibt es so etwas wie ein europäisches Streben nach Glück („pursuit of happiness“)? Nicht bloße Darstellungen philosophischer, kultur- und sozialwissenschaftlicher Forschungen stehen im Zentrum des Buchpreises, sondern ein informiertes Bedenken und Weiterdenken in praktisch-philosophischer Absicht.
Über das Forschungsinstitut für Philosophie Hannover
Das Forschungsinstitut für Philosophie Hannover ist eine wissenschaftliche Einrichtung des Bistums Hildesheim. Es setzt sich mit drängenden Gegenwartsfragen wissenschaftlich auseinander. Dabei lässt es sich durch die besten christlichen, insbesondere katholischen Traditionen und die in ihnen angelegte Vermittlung von Glaube und Vernunft inspirieren. Ethischer Maßstab seiner Arbeit ist die Unantastbarkeit der Menschenwürde. In wissenschaftlicher Forschung und in gesellschaftspolitischen Diskussionen argumentiert das Forschungsinstitut für eine Gerechtigkeit, die niemanden ausschließt. Zum Kerngeschäft des Instituts gehören neben der Forschung die Lehre und das Verfassen wissenschaftlicher Expertisen für die Diözese Hildesheim.