Mahnung zum Gehorsam
Geschichtsträchtige Silberkrümme ist Kunstwerk des Monats im Dom-Museum
Hildesheim (bph) Eine Bischofsinsignie ist Kunstwerk des Monats im Dom-Museum Hildesheim: Die Silberkrümme des Erkanbald.
Als 1788 der Fußboden des Domes erneuert wurde, fand man im Grab des Bischofs Heinrich III. (1331-1363) neben den Resten eines Kelches auch die kleine Silberkrümme, die dem Bischof als Amtsinsignie mit ins Grab gegeben war. Der zugehörige Holzstab war offenbar verfallen. So entnahm man nur die Krümme um sie als kostbare Antiquität im Domschatz zu verwahren.
Zu einer ersten kunstgeschichtlichen Würdigung kam es im 19. Jahrhundert. Im Rahmen des damals neu erwachten Interesses an den in Hildesheim so vielfältig erhaltenen Zeugnissen des frühen Mittelalters erkannte man eine auffällige Nähe der kleinen Krümme zu den berühmten Leuchtern, die Bischof Bernward (993-1022) für die Michaeliskirche in Auftrag gegeben hatte. Die Krümme, die dem 1363 verstorbenen Heinrich mit ins Grab gegeben wurde, hatte zuvor also offenbar schon mehreren Generationen von Bischöfen als Insignie gedient.
Der Name des ursprünglichen Besitzers konnte erst vor einigen Jahrzehnten entziffert werden: ERKANBALD(VS) ABB(AS) steht auf dem unteren Schaftring geschrieben. Gemeint ist ein enger Verwandter Bernwards. Von 997 bis 1011 war dieser Erkanbald Abt des einflussreichen Klosters Fulda und wurde dann zum Erzbischof von Mainz ernannt. Die Weihe hat Bernward selbst vorgenommen. Vermutlich war Politik im Spiel: Unter Erkanbalds Vorgänger gab es heftige Auseinandersetzungen um territoriale Vorrechte im Bereich des Stiftes Gandersheim, die schließlich zu Bernwards Gunsten ausgegangen waren. Zum Zeichen dafür, dass er alle seine Ansprüche aufgebe, hatte der Mainzer Erzbischof damals Bernward seinen Stab übergeben. So mag auch der neue Mainzer Oberhirte seinen Stab an Bernward zurückgeben, der ihn dann – so steht zu vermuten – als ewiges Unterpfand der Hildesheimer Hoheitsrechte in seiner Bischofskirche hinterlegte.
Das Bilderprogramm der kostbaren kleinen Insignie steht allerdings im schroffen Kontrast zu solch einer machtpolitischen Bedeutung. Zentrales Bildelement ist ein knorriger Baumstamm. Er wächst über einem kreuzförmig in sich verschlungenen Rankenknauf in die Höhe um sich von dort her wieder zum Stamm zurückzubiegen. In den Rankenwindungen des kugeligen Sockels sieht man vier kleine nackte Figürchen mit Wasserkrügen in den Händen. Es sind Verkörperungen der vier Paradiesflüsse. Damit ist der Ort der Handlung bestimmt, die in drei Phasen im Krümmenrund und am Stamm selbst, dargestellt ist. Zuoberst in der Krümme geht es um die Erschaffung des Menschen (Gen. 2,7-17). Zwei Geschehensmomente sind hier zu einem Bild verschmolzen: die Beseelung Adams, die dessen steif im Blattwerk hängenden Körper mit Leben erfüllt und das einschränkende Gebot, nicht vom Baum der Erkenntnis zu essen. Wie dagegen verstoßen wird, sieht man in entgegengesetzter Orientierung am Stamm, wo der Baum des Lebens sich zum Baum der Erkenntnis wandelt, an dessen Früchten sich Adam und Eva vergreifen.
Den Schlüssel für die Aussageintention liefern die verwitterten Buchstaben am Schaftring der Krümme. Durch sie erfahren wir, dass der ursprüngliche Besitzer Abt eines Benediktinerklosters war. So wie Gott dem Adam seine Grenzen setzt, ist auch der Abt nach der Regel des heiligen Benedikt dazu verpflichtet, die Mönche zur Demut anzuhalten um sie auf diese Weise zur inneren Freiheit der Christusnachfolge zu führen. An zeitgenössischen Darstellungen kann man ablesen, dass der Abt seine Stabinsignie bei offiziellen Amtshandlungen gewöhnlich so getragen hat, dass die Krümme auf sein Gegenüber ausgerichtet war. Das unterstreicht auf eindrucksvolle Weise die Bildaussage der Erkanbaldkrümme: Ihr Träger steht mit seiner Person dafür ein, dass seine Gemeinschaft die Maßstäbe respektiert, die Gott seiner Schöpfung gesetzt hat. Erkanbald indessen, und alle, die nach ihm seinen Stab getragen haben, hatten stets das Bild des Ungehorsams im Blick, das, indem es an die eigenen Schwächen gemahnt, zugleich ein Appell an die eigene Verantwortung ist.