Luxusobjekt mit theologischer Aussage
Hildesheimer Dombibliothek präsentiert Faksimile des Codex rotundus
Im letzten Drittel des 15. Jahrhunderts in Brügge entstanden, zählt er zu den besonderen Schätzen der Hildesheimer Dombibliothek: der Codex rotundus. Auf einem Durchmesser von nur gut neun Zentimetern bilden die 266 Seiten Pergament ein lateinisch-französisches Stundenbuch. Dienstagabend präsentierte Dombibliothekar Jochen Bepler der Öffentlichkeit ein Faksimile der flämischen Handschrift.
„Dieses Buch ist nicht nur Textträger und Luxusobjekt, sondern betont durch seine runde Form das die Welt umspannende unaufhörliche Gebet zu Gott“, unterstrich Bepler den Symbolwert des Werkes. Die Rundheit stehe neben der Vollkommenheit für den Erdkreis der Gläubigen. Der Hildesheimer Bischof Norbert Trelle zeigte sich fasziniert von den filigranen Bilddarstellungen des Codex: „Ich bin sehr glücklich und auch ein wenig stolz, dass wir in unserem Bistum so bedeutende Kostbarkeiten haben.“
Das spätmittelalterliche Gebetbuch enthält drei ganzseitige Miniaturen und 30 außerordentlich kunstvoll verzierte Initialen. Die Blätter sind annähernd rund beschnitten. Da die Lagen auf einen nur drei Zentimeter breiten Rücken geheftet sind, wird der Buchblock mit drei Schließen zusammengehalten. Deren Originale sind beim Neubinden der Handschrift im 17. Jahrhundert wiederverwendet worden und bilden ein Monogramm aus kunstvoll ineinandergesteckten gotischen Buchstaben.
Auftraggeber für den Codex und Erstbesitzer war Adolf von Kleve (1425-1492), der als Generalstatthalter der burgundischen Niederlande und späterer Regent für den unmündigen Herzog Philipp den Schönen am burgundischen Hof eine herausragende Rolle spielte. Aus dem Besitz der von Kleve gelangte der Codex in die Hände der Dienstmannen-Familie von Loe, die 1629 in den Freiherrnstand erhoben wurden. Der erste Freiherr hatte mit seiner Frau Anna Franziska von Nesselrode 13 Kinder. Eines davon, Johann Adolf von Loe (1656-1719), war seit 1678 Domherr in Hildesheim, später auch in Trier, und zugleich Propst in Kleve. Er war es vermutlich, der der runden Handschrift um 1700 auch den charakteristischen Holzdeckeleinband in rotbraunem Leder gab. Aus seinem Nachlass kam die Pergament-Handschrift dann in die Dombibliothek nach Hildesheim.
Aus dem Spätmittelalter ist kein weiterer kreisrunder Codex bekannt. Man weiß lediglich von einem Stundenbuch aus dem Beginn des 13. Jahrhunderts, welches heute in der Pariser Nationalbibliothek aufbewahrt wird. Dieses Werk steht allerdings in keinem gestalterischen, zeitlichen oder geographischen Zusammenhang mit dem Hildesheimer Codex.
Die Faksimile-Ausgabe stammt aus dem Adeva-Verlag in Graz und kostet 3.980 Euro. Sie gibt die Handschrift vollständig originalgetreu wieder, inklusive der Schließen. Die Edition ist weltweit auf nur 480 Exemplare limitiert. Eines verbleibt dauerhaft im Bestand der Dombibliothek und steht im Lesesaal zur Verfügung.