Kirche und Demokratie – ein nicht ganz einfaches Verhältnis
Gesprächsabend mit Pfarrer Rainer Eppelmann, der Schriftstellerin Helga Schubert, Kultusminister Grant Hendrik Tonne und Bischof Dr. Heiner Wilmer SCJ in der Katholischen Akademie des Bistums Hildesheim in Hannover.
Welches Verhältnis hat die Kirche zur Demokratie: „Ein ambivalentes“, sagt Bischof Dr. Heiner Wilmer. Für dieses doppeldeutige Verhältnis blickt er weiter in die Geschichte zurück. Priester wie Abbé Emanuel Sieyès gehörten zu den Haupttheoretikern der Französischen Revolution, mit der die Idee von Aufklärung, Menschenrechten und Demokratie in Europa verbreitet wurde. Gleichzeitig habe der Vatikan „rote Priester“ verfolgt, die sich für demokratische Ideale starkgemacht haben – darunter auch Pater Léon Dehon, den Gründer der Ordensgemeinschaft der Herz-Jesu-Priester, der Wilmer selbst angehört.
In einem Staat aber, in dem eine einzige Partei meint im Besitz der Wahrheit zu sein, stellt sich dieses Verhältnis von Kirche und Demokratie ganz anders dar: „In der DDR war die Kirche der einzige demokratische Freiraum“, erläutert Helga Schubert. Für die heute 81-jährige Schriftstellerin, die in der DDR als Psychologin gearbeitet hat, war es „nur im Schutzraum der Kirche möglich, freie Worte zu sprechen“. Dabei sei die Erkenntnis gewachsen, dass die „weltliche Macht keine allmächtige Macht“ ist. Neben dem freien Wort waren für Schubert auch kirchliche Rituale bedeutsam: „Den Zuspruch durch einen Segen habe ich immer als besondere Stärkung erfahren.“
Wie Schubert zählte auch der evangelische Pfarrer Rainer Eppelmann zur Bürgerrechtsbewegung in der DDR. Die Samariterkirche in Ost-Berlin, an der er von 1974 an als Gemeindepfarrer arbeitete, wurde ein Zentrum der Friedens- und Oppositionsbewegung der DDR. Eppelmann erinnert an die Blues-Messen, in der nicht nur eine vom DDR-Regime unerwünschte Musik gespielt wurde. Kritische Sketche wurden gespielt und Bibelstellen gelesen, die auf dem Höhepunkt des Wettrüstens zwischen West und Ost zum Frieden aufriefen: „Das führte dazu, dass immer mehr Menschen in die Kirchen kamen, um zu beten und zu diskutieren.“ Darunter auch Engagierte aus der Friedens- und Umweltbewegung, die eigentlich nicht mit der Kirche verbunden waren. „Von da an war es nur eine Frage der Zeit, bis die Kirchen zu voll wurden und die Menschen auf die Straße gingen“, sagt Eppelmann. Es war der Auftakt zur friedlichen Revolution in der DDR.
„Dieser friedliche Übergang ist etwas, dass wir bewahren und wertschätzen müssen“, ergänzt Grant Hendrik Tonne. Der niedersächsische Kultusminister vertritt Ministerpräsident Stephan Weil, der kurzfristig verhindert war – Koalitionsverhandlungen in Berlin. Tonne, in dessen Amtsbereich die Kirchen und Religionsgemeinschaften fallen, geht es aber nicht nur um historisches Erinnern: „Wir müssen heute wieder dafür werben, dass Frieden, Demokratie und Freiheit nicht selbstverständlich sind und wir gemeinsam dafür eintreten müssen.“ Für den Sozialdemokraten eine gemeinsame Aufgabe von Staat und Kirche. Das sei im Übrigen nicht nur eine Erfahrung aus der friedlichen Revolution, sondern auch aus der jetzt 75-jährigen Geschichte des Landes Niedersachsen. „Werte wie Würde und Gleichberechtigung müssen immer wieder mit Leben gefüllt werden.“
Eppelmann verweist darauf, dass sich mit Blick auf die Kirche als Raum für Demokratie in der DDR etwas Entscheidendes geändert hat: „Wir waren ja nicht nur der einzige Freiraum zum Reden, sondern auch die einzige Stimme, die neben den Machthabern in der ganzen DDR gehört werden konnte.“ Heute können sich in einer vielgestaltiger werdenden Gesellschaft viele Stimmen Gehör verschaffen. In einer solchen Situation sei es aber umso wichtiger für die Kirche, für bestimmte Werte zu werben: für Achtung, Respekt, für gesellschaftlichen Zusammenhalt. Eppelmann selbst gehörte der letzten demokratisch gewählten DDR-Regierung als Minister für Abrüstung und Verteidigung an und gehörte nach der deutschen Wiedervereinigung bis 2005 für die CDU dem Bundestag an. Seit 1998 ist er Vorstandsvorsitzender der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur.
Für Helga Schubert hat das Vermächtnis der Kirche in der DDR noch einen weitere, eine eher psychologische Folge: Eine Haltung, die in der DDR christlich geprägte Politikerinnen und Politiker in die Demokratie eingebracht haben. Als Beispiele nennt sie die scheidende Bundeskanzlerin Merkel und den ehemaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck: „Wir waren als Christen nicht so dem Freund-Feind-Denken verhaftet.“ Daher sei der von ihnen geprägte Politikstil von Ruhe und der Überzeugung gekennzeichnet, dass sich Dinge friedlich lösen lassen. „Das hat dem Land und der Gesellschaft gutgetan“, meint die Autorin und Psychologin. Diese Haltung wünscht sie sich weiterhin für die Demokratie.
Bischof Wilmer verbindet die Rolle einer zu verändernden, zu reformierenden Kirche in der Demokratie mit drei Adjektiven: frömmer, nachdenklicher, politischer. „Fromm“ knüpft dabei an die jüdisch-christliche Tradition und die Kernbotschaft der Bibel an: „Du bist von Gott gewollt und geliebt“, betont Wilmer. „Nachdenklich“ setzt auf den Dialog mit den Wissenschaften und mit der Philosophie, um die Fragestellungen der Zeit zu durchdringen. Und „politisch“: „Sich an die Seite derer zu stellen, denen es nicht gut geht.“
Dennoch müsse sich die Kirche auch fragen lassen, wie es in ihr um die Demokratie bestellt ist: „Wie ist das mit dem Zugang von Frauen zu Ämtern der Kirche, wie ist das mit dem Segen für gleichgeschlechtliche Paare“, fragt Kultusminister Tonne. Denn auch die Kirche lebt im Hier und Heute. Die Kirche kann und soll die Politik kritisch begleiten: „Aber die Politik darf auch die Kirche kritisch begleiten, so geht Dialog.“ Für den Kultusminister rückt angesichts der gesellschaftlichen Verwerfungen in der Gesellschaft, die nicht allein durch die Pandemie ausgelöst sind, der Religionsunterricht in den Blickpunkt: „Ich würde sagen, nie war er wertvoller als heute.“ Denn er biete den Schülerinnen und Schüler einen Freiraum zum Reden und Reflektieren über das, was sie im Inneren bewegt.
Zum Beginn der Veranstaltung hatte Akademiedirektorin Dr. Ruth Bendels auf die besondere Verbindung von Staat und Kirche hingewiesen: „Es geht um Fragen wie Freiheit, Gleichheit und Eigenverantwortung, darum, wie wir in der Gesellschaft miteinander umgehen.“ Die evangelische und katholische Kirche hat sich in ihrer Geschichte mit der Demokratie alles andere als leichtgetan: „Als Kirche muss uns an einer demokratischen Gesellschaft gelegen sein – und idealerweise profitiert davon auch die Demokratie.“