KAB für sozialpolitischeres Auftreten der Kirche
Hildesheimer Diözesanverband übergibt Erklärung an Bischof Wilmer
Der Hildesheimer Diözesanverband der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung (KAB) hat heute Vormittag eine Erklärung an Bischof Dr. Heiner Wilmer SCJ übergeben, die dessen Mitglieder gemeinsam mit dem KAB-Verband im österreichischen St. Pölten verfasst hatten.
Die Erwartung der KAB ist, dass die Kirche noch sozialpolitischer auftreten möge als bisher. "Das ist unser Anliegen, deswegen haben wir es Bischof Heiner vorgetragen", sagte Rüdiger Wala, der gemeinsam mit Silvia Scharfenberg dem Hildesheimer Diözesanverband vorsteht. An dem Termin im Bischofshaus nahm auch KAB-Diözesansekretär Dr. Timo Freudenberger teil.
Die gemeinsame Erklärung ist das Ergebnis eines Treffens der Hildesheimer Arbeitnehmer-Bewegung mit dem österreichen KAB-Diözesanverband St. Pölten vom 27. bis 29. September 2019 in Zell am Main. Beide Verbände verbindet eine 30-jährige Partnerschaft. Auch der Bischof von St. Pölten, Alois Schwarz, soll die gemeinsame Erklärung erhalten.
Die gemeinsame Erklärung im Wortlaut:
Menschenwürde darf nicht von der Kaufkraft abhängen Die wachsende Schere zwischen Arm und Reich, Populismus und Fremdenfeindlichkeit, demographi-scher Wandel und die Angst abgehängt zu werden: Diese Anzeichen zeigen, dass wir täglich um den gesellschaftlichen Zusammenhalt ringen müssen. Nüchtern müssen wir feststellen, dass Religion allein nicht automatisch zu mehr gesellschaftlichem Zusammenhalt führt.
Nächstenliebe, Versöhnung und Beteiligung sind aus dem Glauben geprägte Werte, die es immer wieder neu zu gestalten gilt. Für uns als Katholische Arbeitnehmer-Bewegung (KAB) ist klar, dass soziale Gerechtigkeit und gesellschaftlicher Zusammenhalt nicht voneinander zu trennen sind. Sie hängen in entscheidender Weise voneinander ab.
Soziale Gerechtigkeit berührt aus unserer Sicht mindestens zwei Aspekte:
1. Die Idee einer Bedingungslosigkeit. Unser Engagement schöpft aus der Überzeugung, dass Gott sich uns bedingungslos schenkt. Seine Zusicherung, bei uns zu sein bis ans Ende aller Tage, ist nicht an Voraussetzungen geknüpft. Aus dieser Grundüberzeugung ergibt sich für uns die Frage: Wie können aus dem Zusichern der Bedingungslosigkeit Gottes politische Impulse für den gesellschaftlichen Zusammenhalt erwachsen? Wir brauchen Initiativen, die es Menschen ermöglichen, ihre Lebensverhältnisse selbst in die Hand zu nehmen und die ihnen notwendige Solidarität der Gemeinschaft zukommen zu lassen.
2. Der Ausgleich untereinander, der finanziell und beteiligend zu sehen ist. Wir lassen uns von der Idee leiten, dass Gemeinwohl und Einzelwohl, die Aufgaben und Grenzen sowohl staatlicher Einrichtungen als auch wirtschaftlicher Unternehmen, in einen Ausgleich gebracht werden können. Hier gilt es über Initiativen nachzudenken, die für uns unerlässlichen Prinzipien des Gemeinwohls und der Nachhaltigkeit zu stärken. Genauso wie der Staat sich nicht dem Markt unterwerfen darf und Sozialpolitik immer mehr sein muss als ein Anhängsel der Gesetzgebung, bedarf es auch einer Perspektive, die über die eigene Generation hinausgeht.
In einer Gemeinschaft, die sich als christlich geprägt versteht, darf die Menschenwürde nicht von der Kaufkraft abhängen. Ein gutes Leben für alle ist möglich und darf nicht vom Konsum vereinnahmt werden, es ist mehr als materieller Reichtum. Eine dem Gemeinwohl verpflichtete Politik sorgt für Ausgleich und Mitbestimmung. Gerade Beschäftigte und ihre Familien, junge und alte Menschen sind auf ein „gerechtes Regieren“ angewiesen.
Für uns liegt ein erster Schritt zum sozialen Ausgleich, zu mehr gesellschaftlichen Zusammenhalt in einem gerechteren Steuersystem. Steuerschlupflöcher müssen gestopft, Steueroasen beseitigt werden. Nach wie vor erachten wir eine Finanztransaktionssteuer für unverzichtbar. Doch diese Schritte allein werden nicht ausreichen.
Ein umfassender sozialer Ausgleich wird für uns durch ein Bedingungsloses Grundeinkommen möglich. Wie nötig es ist, zeigt sich derzeit an zwei elementaren Schnittstellen des Lebens – am Anfang und im Alter. Das Bündeln der zersplitterten Unterstützungsleistungen für Kinder zu einer Grundsicherung, die Hilfen unbürokratisch und diskriminierungsfrei ermöglicht, ist genauso ein Gebot der Stunde wie eine Grundrente. Auch die Absicherung in Alter muss aus unserer Sicht ohne Bedürftigkeitsprüfung erfolgen – mithin bedingungslos.
Gesellschaft und Arbeitswelt wandeln sich durch Phänomene wie Globalisierung und Digitalisierung deutlich. Spätestens wenn durch die Folgen der Digitalisierung Erwerbsarbeit weniger wird, ist mit einer Vertiefung der sozialen Unterschiede zu rechnen. Die KAB strebt seit vielen Jahren das Ideal der Tätigkeitsgesellschaft an, in der jegliche Form menschlicher Arbeit als gleichwertig betrachtet wird.
Im Hinblick darauf und als Unterstützung muss eine andere Form der Besteuerung von Arbeit realisiert werden. Eine Wertschöpfungsabgabe ist nicht nur Alternative, sondern ermöglicht weiter Schritte in Richtung eines bedingungslosen Grundeinkommens. Wohlstand ist für uns etwas anderes als die bloße Anhäufung von Reichtümern.
Unter den Stichworten Bildung und Beteiligung steht die Mitbestimmung und die Befähigung dazu im Mittelpunkt. Die Teilhabe an den politischen Prozessen in Kommunen, Land und Bund sowie die Mitbestimmung in den Betrieben lassen die Demokratie erst lebendig werden. Das Ringen um gerechte Löhne, faire menschenwürdige Arbeitsbedingungen sowie vernünftige soziale Absicherungen stehen an oberster Stelle. Über seine Zeit frei verfügen zu können ist ebenso Wohlstand, wie eine Arbeit, die Sinn ergibt und Freude macht.
Für uns ist daher unerlässlich, dass Mitbestimmung auf allen Ebenen gewährleistet wird. Wohlstand, Beteiligung und Zuversicht sind untrennbar mit gesellschaftlichem Zusammenhalt verbunden. Während kleine Gemeinschaften Geborgenheit geben, drohen größere Zusammenhänge aufgrund vermeintlicher Ängste vor dem Fremden auseinanderzudriften.
Zudem ist die Wahrnehmung zwischen den Generationen, was gesellschaftlicher Zusammenhalt sein sollte, verschieden und spiegelt sich in differenzierten Ängsten und Vorbehalten wieder. Wir erwarten, dass die Kirche deutliche Impulse setzt. Impulse für eine von Nächstenliebe, Vernunft, Versöhnung und Bedingungslosigkeit – um nur einige zu nennen – geprägte Gesellschaft.
Wir können diese Ideale nur dann erlangen, wenn wir sie selbst leben. Das Evangelium liefert die passenden Erzählungen dazu; sie müssen aber auch überzeugend umgesetzt und weitergegeben werden. Eine Übersetzung der frohen Botschaft in den Alltag in Gottesdiensten, Andachten und Gesprächen sehen wir als Mitgestaltung an der Zukunft – hin zu mehr sozialem Ausgleich und Zusammenhalt in der Gesellschaft.
Wir fordern unsere Bischöfe auf, soziale Gerechtigkeit zur Bedingung des Zusammenlebens zu machen und stärker in die Gesellschaft zu tragen. Die Kirche muss sozialpolitischer auftreten und die Anliegen der Katholischen Soziallehre verkünden, leben und vor allem von Politik und Wirtschaft einfordern. Wir sind aufgefordert, stärker auf die Sorgen der Menschen zu hören. Gemeinsam gilt es, Initiativen zu schaffen, die durch die Motive der Soziallehre und caritativer Aspekte dazu verpflichten, dass Menschen die Möglichkeit gegeben wird, ihr Leben selbst zu gestalten und dass sie durch die Gemeinschaft in Solidarität unterstützt werden. Gemeinwohl und Nachhaltigkeit müssen als leitende Prinzipien vorangestellt werden.
Wir betrachten aufmerksam die derzeit stark und vor allem durch Jugendliche vorangetriebene Diskussion um den Klimaschutz und stellen nicht nur fest, dass sich die junge Generation Sorgen um ihre Zukunft macht, sondern auch, dass im Sinne Papst Franziskus‘ das Thema Umweltschutz zugleich immer auch ein soziales Thema ist. Unsere Handlungen und Gewohnheiten haben Konsequenzen für Menschen in anderen Teilen der Welt. Eine Globalisierung der Gerechtigkeit bedeutet dabei, darauf hinzuwirken, dass ein sozialer Ausgleich auch in größerem Maßstab stattfinden muss. Die KAB ist dabei nicht nur prophetisch, sondern auch in vielen Bereichen politisch aktiv.