Hinter Gittern - und doch offen für die Welt
Ein Tag im Orden - bei den Karmelitinnen
Hannover (kiz/bph) Schwester Victima lebt mit vier anderen Karmelitinnen in Hannover, in der Milanstraße steht ihr Kloster. Ein Ort der Ruhe. Um den Lärm draußen zu halten, haben sie die Welt durch Gitter abgetrennt. Die Schwestern leben ihren ganz eigenen Rhythmus, ein Gegenentwurf zur hektischen Welt.
Ruhe ist wichtig. Die Ruhe, die zum Nährboden wird für einen guten und geregelten Tag. Von halb sechs in der Frühe bis um 21 Uhr am Abend hat jede Stunde ihre Aufgabe. „Der feste Ablauf hilft uns, diese Ruhe zu erhalten, die uns offen macht für die entscheidenden Dinge“, sagt Schwester Victima. Das Zentrum ihres Leben ist die Eucharistie und Gottes Wort. Alles andere, der Alltag und die Arbeit, gruppiert sich darum.
Ein bisschen kompliziert ist es schon, die Schwestern in der Milanstraße zu besuchen. Dabei liegt das nicht an der Gegend. Denn die ist verkehrsgünstig. Der Messeschnellweg rauscht unweit vorbei, das kleine Kloster liegt direkt am Mittellandkanal. Die gedrungen wirkende Kirchenkonstruktion stammt aus dem Jahr 1965. Früher lebten dort die Klarissen, seit 14 Jahren sind dort nun die Schwestern der allerseligsten Jungfrau Maria vom Berge Karmel“ zu Hause, im Volksmund bekannt als die „Unbeschuhten Karmelitinnen“.
Wer bei ihnen zu Gast sein will, sollte sich vorher anmelden. Denn frei zugänglich ist das Leben der Schwestern nicht. Ein Summer öffnet die Eingangstür, Besucher stehen dann in einem Vorflur, der auf ein Gitter zuläuft. Dahinter weist eine Schwester auf eine Seitentür, die in ein Besucherzimmer führt. Und dort trennt ein weiteres Gitter die Welt in „drinnen“ und „draußen“.
Wenn Schwester Victima dort Gäste empfängt, dann reicht sie die Hand zum Gruß durch die weiten Maschen des Weidengeflechtes. Und mit ihrem ansteckenden Lachen schafft sie es, alle Trennungen zu überwinden. „Das Gitter ist keine Unterscheidung zwischen Gut und Böse“, sagt die Karmelitin. „Es zeigt uns, dass wir ganz eigene Aufgaben haben. Auf unserer Seite ist eben alles für Gott gedacht.“ Nicht zum ersten Mal schildert sie einen Vergleich: In einem Fluss und in einem Brunnen sind gleichermaßen Wasser. Doch wer aus dem Brunnen trinkt, weiß, dass er dort klares, sauberes Wasser findet. So sei es auch mit ihrem Kloster, das eben durch die Gitter eingefasst sei. „Wir haben unterschiedliche Aufgaben“, sagt Schwester Victima, das Gitter erinnere immer wieder daran.
Keine Kirchenglocke dringt durch die morgendliche Ruhe der Siedlung. Rund um die Milanstraße herrscht bürgerliche Zufriedenheit. Drinnen in der Kirche sitzen acht Menschen zur Morgenmesse, die eine Hälfte ist mit dem Rad gekommen, der Pfarrer reiste aus der nahgelegenen Pfarrei St Martin mit dem Auto an. Eine halbe Stunde dauert der Werktagsgottesdienst. Besonders für die beiden jungen Frauen in den Kirchenbänken scheint er Ort zum Auftanken für den Alltag zu sein, die anderen sind wohl regelmäßige Gäste. Die Schwestern, die ganz versteckt in dem Seitenchor sitzen, sind beim Gesang zu hören, aber nicht zu sehen. Ihre Bänke sind abgetrennt durch ein Gitter, das nur durch eine kleine Klappe für die Kommunion mit dem Altarraum verbunden ist.
Wenn die Schwestern ihren täglichen Gottesdienst feiern, haben sie bereits zwei Stunden im Gebet absolviert. Nach der heiligen Messe folgt die Anbetung, dann geht es zum Frühstück. Die Arbeit, die jede Schwester für sich verrichtet, strukturiert den Tag bis zum Mittagsgebet in der Kapelle zu Angelus, Lauretanischer Litanei und Non. Anschließend üben sich die Schwestern in der „Gewissenserforschung“. Ein Wort, bei dem Schwester Victima lacht, weil sie als gebürtige Polin es sich selbst nach so langen Jahren in Hannover nur schwer auf Deutsch merken kann. Nach dem Mittagessen folgt die Rekreation mit gemeinsamem Gespräch, bevor es bis 15.30 Uhr wieder an die Arbeit geht.
Arbeit, das ist für die Schwestern das Gießen und anschließende Verzieren von Kerzen, besonders von Osterkerzen, das Modellieren mit Wachs, das Bemalen von Ikonen oder Grußkarten. Aber auch um den eigenen Haushalt, die Wäsche und das Essen kümmern sich die Schwestern. Die Zeit wird manchmal schon knapp, denn nach den geistlichen Lesungen, die jede Schwester wieder für sich allein vornimmt, geht es um 16.40 Uhr zur Vesper mit anschließender Meditation: Angelus um 18 Uhr und Abendessen geben Zeit für ein einstündiges Gespräch. Die Komplet um 20 Uhr schließt das Programm ab. Fernsehen und Radio nutzen die Schwestern nicht, mit der Außenwelt sind sie über einen Computer verbunden, ansonsten informieren sie sich über Zeitungen. Was sie an Kosten haben, verdienen sie selbst oder erhalten sie durch Spenden. Um den Rest, besonders den Unterhalt des Klosters, kümmert sich bei Bedarf das Bistum.
Der immer gleiche Ablauf des Tages gibt den Schwestern Ruhe. Kleine Höhepunkte sind die nachmittäglichen Rosenkränze im Garten. Das finden zumindest Smek und Skarka. Die beiden Schäferhunde leben bei den Schwestern, vor knapp elf Jahren kamen sie nach zwei Einbrüchen ins Haus. Wenn es zum Rosenkranz geht, dürfen sie mit raus, eine besondere Freude für die beiden schon ein wenig ergrauten Wachhunde.
Mit 23 Jahren trat Schwester Victima nach dem Studium der Theaterwissenschaft in den Orden ein, der Weg hatte sie von zu Hause in eine Klosterneugründung nach Island geführt. Als dort mehr als 21 Schwestern lebten, teilte sich nach der Ordensregel das Kloster, auf den Ruf von Bischof Josef kamen die Karmelitinnen 1998 nach Hannover. Dort leben Schwester Stanislawa (54), Schwester Ancilla (62), Schwester Maria (49) und Schwester Lilia (41) nun zusammen, Schwester Victima ist vom Bischof als ihre Oberin bestimmt.
Alle sind sie bereits mit gestandenen Berufen ins Kloster gegangen, Jura, Musik und Theologie haben sie studiert, eine Schwester ist Bäckermeisterin. „Man sollte schon nach dem Abitur in den Karmel kommen“, sagt Victima. „Wir sind lange allein. Damit und mit dem Eigenstudium der Schrift sollte man umgehen können“, begründet sie das. Diese Stille sei dann ein Raum für Gott und mit Gott. „Das ist wie in einem Plattenstudio, dort ist ja auch alles abgeschottet und in Stille, aber die Menschen dort singen dann für alle“, bemüht sie einen ihrer treffenden Vergleiche. Und lacht dabei. Wer sagt denn, dass gerade kontemplativ lebende Nonnen nicht fröhlich sein können?