Gründungslegende widerlegt
Lehrgrabung unter dem Bischöflichen Generalvikariat erbrachte vorchristliche Keramiken
Hildesheim (bph) Im 9. Jahrhundert sollen Dom, Bistum und Stadt Hildesheim gegründet worden sein – in einem dichten Wald mit einem Rosenstock, so will es die Gründungslegende. Wer immer sich das ausgedacht hat, übersah dabei nur eines: Als das Bistum gegründet wurde, war der Hildesheimer Domhof schon mindestens 1.000 Jahre besiedelt. Das beweisen vorchristliche Keramiken, die jetzt bei Lehrgrabungen unter dem Bischöflichen Generalvikariat gefunden wurden.
Daumengroß, verdreckt und leicht mit einem kleinen Stein zu verwechseln – so fanden die winzigen Keramiksplitter den Weg ans Tageslicht. Nur dem Fachmann verrieten sie ihr Alter: Das weiche Tonmaterial mit vielen Dreckeinschlüssen und die typischen Verzierungen mit dem Daumen lassen auf eine Entstehungszeit zwischen dem 6. Jahrhundert vor Christus und Christi Geburt schließen, sagt Diözesankonservator Prof. Dr. Karl Bernhard Kruse. Damit stammen sie aus der Eisenzeit. Das beweist, dass der Fund einer vorchristlichen Keramikscherbe beim Bau der Dombibliothek vor einigen Jahren kein Zufall war: Vielmehr wurden Dom und Stadt von Hildesheim offenbar mitten in einem dicht besiedelten Gebiet gegründet.
Drei Wochen lang hat Kruse im Rahmen seiner Lehrtätigkeit an der Technischen Universität Braunschweig mit 20 Architekturstudenten im Keller des bischöflichen Generalvikariates gegraben. Herausgefunden haben der Professor und seine Studenten dabei noch viel mehr: Das heutige Bischöfliche Generalvikariat geht in seinem Kern auf das Wohn- und Verwaltungsgebäude Bischof Hezilos 1054 bis 1079 zurück. Er baute es nicht auf die „grüne Wiese“, sondern nutzte das Westquerschiff und den Chor eines Doms, den sein Vorgänger Bischof Azelin (1044 bis 1054) begonnenen hatte. Dieser Dom mit einer großen Chorkrypta, die heute noch in Resten im Heizungskeller des Bischöflichen Generalvikariats vorhanden ist, wäre um ein Drittel größer geworden als der heutige Dom. Trotz der sorgfältigen Fundamentierung geriet der Bau schon während der Entstehungszeit auf den schrägen, feuchten Lehmschichten ins Wanken.
Vor zwei Jahren hat Kruse mit anderen Studenten schon einmal in diesem Keller an der Süd-Westecke gegraben und festgestellt, dass Bischof Azelin seinen nicht fertiggestellten Dom in der Mitte des 11. Jahrhunderts an dieser Stelle nachgründen musste. Ziel der Grabung in diesem Jahr war es, mehr über den Zugang zur vermuteten Vierungskrypta zu erforschen. Richtig spannend für die Stadtgeschichte Hildesheims sind vor allem die abgegrabenen Erdschichten, die älter als der Azelindom sind. Während in der Grabung im Jahre 2004 unter den Bruchstücken aus so genannten Bernwardsziegeln keine Besiedlung auf dem natürlichen Boden mehr angetroffen wurde, konnten in diesem Jahr wenigstens drei verschiedene Nutzungsschichten von Häusern, einer Kalk- oder Mörtelgrube und eine erste Kulturschicht aus dem 9. Jahrhundert aufgedeckt werden. Daher fanden Kruse und sein Studententeam auch Keramiken aus dem 9. Jahrhundert nach Christus sowie eine große Anzahl von Tierknochen.
Alle Keramikscherben sollen in den nächsten Jahren wissenschaftlich ausgewertet werden. Dann will Kruse diese Überbleibsel vergangener Zeiten dem Niedersächsischen Landesmuseum in Hannover überlassen.