Geld ist da – aber für wen?
Experten diskutierten zur „Woche für das Leben“ über Rationierung im Gesundheitswesen
Hildesheim/Hannover (bph) Die gute Nachricht: Es ist genug Geld im deutschen Gesundheitssystem. Die schlechte: Das Geld ist nicht gut verteilt und wird nicht immer sinnvoll ausgegeben. Darauf konnten sich die die Experten am vergangenen Samstag einigen bei der Tagung „Wie viel Gesundheit können wir uns leisten? – oder: Rationierung im Gesundheitswesen – das Ende der Solidargemeinschaft?“ in der Medizinischen Hochschule Hannover. Ansonsten zeigte sich bei den hochkarätigen Vorträgen zur „Woche für das Leben“ aber auch, wie komplex das Problem der Mittelverteilung im Gesundheitswesen ist.
Die Zahlen sind gewaltig: Rund 160 Milliarden Euro haben die Gesetzlichen Krankenkassen im vergangenen Jahr für ihre Mitglieder ausgegeben, wie Prof. Dr. Dr. Daniel Strech von der Medizinischen Hochschule Hannover darlegte. Rechnet man die Ausgaben der Privatkassen dazu, kommt man auf 260 Milliarden Euro. Da müsste eigentlich für jeden Patienten genug Geld da sein, um ihn gut zu behandeln. Tatsächlich ist die medizinische Behandlung in Deutschland im internationalen Vergleich auf einem sehr hohen Niveau, stellte Dr. Andreas Tecklenburg, Vizepräsident der MHH, klar. Dennoch muss man über Rationierung und Priorisierung im Gesundheitswesen reden.
Warum das so ist, ließ Prof. Dr. Wolf-Dieter Ludwig als Vorsitzender der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft an einem kleinen Beispiel erahnen: Rund 59.000 Medikamente sind in Deutschland zugelassen. Deren Kosten sind in den letzten zehn Jahren deutlich gestiegen. Der größte Teil des Kostenanstiegs wird aber von relativ wenigen neuen Krebspräparaten verursacht, deren Nutzen zum Teil fraglich ist. Soll und darf man einem todkranken Patienten ein solches Medikament verweigern, weil das Geld vielleicht an anderer Stelle nötiger gebraucht würde?
Ethische Fragen, auf die auch der Theologe Prof. Dr. Dietmar Mieth keine eindeutige Antwort hatte. Er setzt auf eine Option für die Benachteiligten und fordert zumindest mehr Transparenz im Gesundheitswesen, aber auch mehr Eigenverantwortung für jeden.
Transparenz und Durchschaubarkeit – damit hapert es auf einem Gebiet, das nur noch eine Handvoll Experten in Deutschland wirklich ganz durchblicken. Dr. Wolf-Dieter Kirsten muss es wissen. Er ist niedergelassener Internist und zugleich Mitglied im Arbeitskreis Gesundheitspolitik der CDU Niedersachsen. Der Mediziner schilderte recht eindrucksvoll die Nöte eines Arztes, der lieber zu viel verordnet, als zu wenig, um sich juristisch nicht angreifbar zu machen. Um aus dieser „Defensivmedizin“ heraus zu kommen müssen die einzelnen Sektoren des Gesundheitswesens seiner Meinung nach besser kooperieren.
Unter dem Strich waren sich alle Referenten einig, dass sich die Frage nach der Rationierung von Gesundheitsleistungen angesichts der demographischen Entwicklung in Zukunft verstärkt stellen werde. Doch zuvor müssen alle Möglichkeiten zur Effizienzsteigerung ausgeschöpft werden. Da scheint tatsächlich noch genug Luft im System zu sein. Und auch der medizinische Fortschritt, der sonst immer als Kostentreiber gebrandmarkt wird, dürfte finanziell betrachtet einige gute Seiten haben: Mit Hilfe der Pharmakogenetik werde man künftig vielen Patienten passgenaue Medikamente verordnen können, glaubt Ludwig. Unsinnige und teure Verordnungen würden dann seltener werden.
Die Tagung in der MHH stand im Zusammenhang mit der „Woche für das Leben“, die gemeinsam von der Deutschen Bischofskonferenz und dem Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland getragen wird. Die „Woche für das Leben“ soll das Bewusstsein für den Wert und die Würde des menschlichen Lebens schärfen. Sie fand erstmals im Juni 1991 statt. Im vergangenen Jahr haben die Veranstalter einen Dreijahreszyklus zum Thema Gesundheit gestartet, der unter dem Hauptmotto steht: „Gesund oder krank – von Gott geliebt“. Die diesjährige „Woche für das Leben“ findet vom 17. bis 24. April statt und steht unter dem Motto „Gesunde Verhältnisse“. Sie wurde am vergangenen Samstag von Erzbischof Dr. Robert Zollitsch und Landesbischof Dr. Ulrich Fischer mit einem ökumenischen Gottesdienst im Frankfurter Dom eröffnet.