Geheimnisvolle Päckchen in roter Seide
Das Domkapitel des Bistums Hildesheim ließ den Godehardschrein öffnen
Hildesheim (bph) Ehrfürchtig öffnete Bischof Norbert Trelle am Dienstagmittag im Hildesheimer Dom die Tür des mittelalterlichen Godehardschreins. Unter den Augen von Experten des Londoner British Museum und des Cleveland Museum of Art kamen sechs Päckchen aus roter Seide zum Vorschein.
„Es ist für mich sehr bewegend, einen Blick in die Zeit meines berühmten Vorgängers werfen zu können“, sagte Bischof Trelle als er die verschnürten Pakete mit einer Schere öffnete und gemeinsam mit der Textilrestauratorin Dr. Regula Schorta entfaltete. Zuvor hatte er unter Mithilfe von Dr. Michael Brandt, Direktor des Dom-Museums, die bis zu einem Meter langen Bündel aus dem Schrein gezogen. Die Öffnung des ersten offenbarte alte Textilien, das zweite Paket wurde nur bis zu einer weiteren Schicht Tüchern freigelegt und dann den Restauratoren übergeben.
Nach 1779, 1853 und 1960 wurde das kostbare Kunstwerk bereits zum vierten Mal in seiner Geschichte geöffnet. Der Schrein mit den Gebeinen des Hl. Godehard ist in den 40er Jahren des 12. Jahrhunderts entstanden. Damit ist er der älteste monumentale Reliquienschrein des Mittelalters, der heute noch erhalten ist. Obwohl wesentliche Teile seines architektonischen Rahmenwerkes verloren gegangen sind, ist die Originalsubstanz noch so gut, dass der Godehardschrein als eines der Musterbeispiele romanischer Goldschmiedekunst gelten kann.
Immer wieder hat es Versuche gegeben, den Schrein zu berauben. Außerdem wurde das Kunstwerk in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts unsachgemäß restauriert. Prozessionen bei Wind und Wetter taten ein Übriges, so dass der Godehardschrein heute akut gefährdet ist. Dies erkennt man am besten an den Metallbeschlägen, die dringend vor Korrosion geschützt werden müssen. Restaurierungsbedürftig sind zudem mechanische Schäden an verschiedenen Stellen, zum Beispiel Stauchungen, Rissbildungen und Bruchstellen. Auch der Holzkern des Gehäuses und die Reliquien müssen saniert werden.
Das British Museum in London, das Cleveland Museum of Art und das Walters Art Museum in Baltimore haben ihr Interesse bekundet, den Godehardschrein im Rahmen der Ausstellung „Matter of Faith“ vom Oktober 2010 bis Oktober 2011 in Cleveland, Baltimore und London auszustellen. Darum wurden heute zunächst die Reliquien entnommen. Bis zum Beginn der Ausstellung wird der Schrein dann voraussichtlich konservatorisch gesichert. Nach Ende der Ausstellung im Oktober 2011 sollen nach der jetzigen Planung in den Werkstätten des British Museum in London die Metallteile abgenommen und dort restauriert werden. Der Holzkern und die Reliquien werden separat behandelt. Zur Wiedereröffnung des Domes würde der restaurierte und wieder zusammengefügte Schrein dann 2014 nach Hildesheim zurückkehren.