Ein Toten-Schiff im Meer des Lebens
Das Erfurter Kolumbarium Allerheiligenkirche ist akzeptiert und angenommen
Hannover/Erfurt (bph) Der Plan für ein Kolumbarium in der Herz-Jesu-Kirche Hannover bewegt die Gemüter. Hier, in der niedersächsischen Landeshauptstadt, soll zum ersten Mal in Norddeutschland ein katholisches Gotteshaus zu einer Begräbnisstätte für Urnen umgebaut werden. Anderswo hat man damit schon länger Erfahrung. In der Allerheiligenkirche der thüringischen Bischofsstadt Erfurt zum Beispiel gibt es seit 2007 ein Kolumbarium. Der Blick dorthin lohnt sich:
Man kommt in Erfurt kaum an ihr vorbei, wenn man vom Dom in das Geschäftszentrum der ehrwürdigen Bischofsstadt will: Die Allerheiligenkirche steht buchstäblich im Weg. Wie der Bug eines Schiffes teilt sie die quirlige Marktstraße von der Allerheiligenstraße ab. Hier also, mitten im Leben, wohnen die Toten und erwarten die Auferstehung, in 630 Urnenfächern, die sich seit 2007 langsam füllen. Sie verteilen sich auf 15 Stelen mit jeweils sechs Etagen zu je sieben Fächern. Entfernt erinnern die Stelen aus Stahl, geätztem Glas und hellem Muschelkalk an Taubenschläge. Und genau daher, vom lateinischen Wort „Kolumba“ – für die „Taube“ – hat das Kolumbarium seinen Namen als Aufbewahrungsstätte für Urnen.
Die Idee, Urnen in Gebäuden unterzubringen, ist alt. Schon 1892 wurde das erste Kolumbarium Thüringens in Gotha errichtet. Bis heute bieten zahlreiche Städte und Gemeinden solche Kolumbarien an. Dass aber die katholische Kirche Gotteshäuser zu Begräbnisstätten für Urnen umgestaltet, das ist relativ neu. Jahrhundertelang taten sich Katholiken schwer mit der Feuer- und Urnenbestattung. Die katholische Kirche empfiehlt zwar nach wie vor, den Leichnam Verstorbener zu beerdigen. „Sie verbietet indessen die Feuerbestattung nicht, es sei denn, sie ist aus Gründen gewählt worden, die der christlichen Lehre widersprechen“, so heißt es wörtlich im kirchlichen Gesetzbuch von 1983.
In Erfurt ist die Verbrennung mit anschließender Urnenbestattung längst zur häufigsten Bestattungsart geworden. Die wenigsten Menschen in dieser ehemals sozialistischen Stadt demonstrieren damit ihre Kirchenferne. Hauptgrund sind schlicht die Kosten. „Mehr als 1.000 Euro können sich die wenigsten für eine Beerdigung leisten“, weiß der Erfurter Weihbischof Dr. Reinhard Hauke aus vielen Gesprächen. Er war es auch, der aus Italien die Idee des katholischen Kolumbariums mitbrachte, als für die Erfurter Allerheiligenkirche ein neuer Verwendungszweck gesucht wurde. Schon 1936 hatte das 1117 geweihte zweischiffige Gotteshaus als Pfarrkirche ausgedient und wurde seitdem nur noch als Beicht- und Andachtskirche des nahe gelegenen Doms genutzt. Doch Mitte dieses Jahrzehnts zeigten sich deutliche Schäden an der Allerheiligenkirche, vor allem an Dach und Mauerwerk. Angesichts der Sanierungskosten von rund 1,2 Millionen Euro dachte das Bistum über eine zusätzliche Nutzung für diese Kirche nach. So brachte Hauke ein Kolumbarium ins Gespräch. Rückenwind gab auch das neue Thüringer Bestattungsgesetz, das seit 2004 Urnenbestattungen in Kirchen zulässt.
2006 schrieb das Bistum Erfurt einen Architekturwettbewerb aus, den die Künstlerin Evelyn Körber gewann. Am 7. September 2007 konnte Weihbischof Hauke das neue Kolumbarium weihen. Es befindet sich im linken, nördlichen Seitenschiff der Kirche und ist durch eine „Gardinenwand“ aus Glas, in die biblische Zitate eingeätzt wurden, von der Kirchenvorhalle und vom rechten, südlichen Kirchenschiff abgetrennt. Dort, vor dem barocken Hochaltar, finden die Trauerfeiern statt – auch für Nichtchristen. Katholiken und Protestanten werden hier von Geistlichen ausgesegnet, den Nichtchristen bieten Vertreter der Domgemeinde die Gestaltung der Trauerfeier an. Acht Wochen nach der Eröffnung des Kolumbariums waren alle 630 Urnenplätze vergeben. 1.000 Euro kostet die Liegezeit für 20 Jahre, die verlängert werden kann. Das entspricht etwa den Kosten einer Urnenbestattung auf dem Erfurter Hauptfriedhof. Nach Ablauf der Liegezeit sollen die sterblichen Überreste hinter der Kirche aufbewahrt werden, wo sich seit vielen Jahrhunderten ein Friedhof befindet. Bis heute haben sich schon rund 50 Nischen gefüllt.
Zu keinem Zeitpunkt habe es Vorbehalte gegen das Kolumbarium gegeben, erzählt Weihbischof Hauke, dafür aber viel Sympathie oder zumindest Neugier. Und das bei einer Bevölkerung, die zu 75 Prozent keiner Religion angehört. So sind denn auch 20 Prozent derer, die sich eine Urnennische gekauft haben, ungetauft. Ein Drittel gehört der evangelischen Kirche an und nur die Hälfte der Käufer ist katholisch. Während 80 Prozent der Käufer über 60 Jahre alt sind, gibt es auch jüngere Interessenten. „Der Jüngste ist 35 Jahre alt und hat sich mit seiner ganzen Familie eingekauft“, berichtet Weihbischof Hauke. „Es könnte ja was dran sein an der Auferstehung!“ Diesen Satz hat der Weihbischof öfter von Interessierten gehört, aber auch, dass sie einen Ort suchen, wo sie sich schon zu Lebzeiten mit dem Tod auseinander setzen können. Jeder Tag könnte der letzte sein – durch das Kolumbarium ist diese oft verdrängte Wahrheit wieder etwas mehr in das Bewusstsein der Menschen gerückt, beobachtet der Geistliche. So sind denn auch die monatlichen Totengedenken an jedem ersten Freitag des Monats gut besucht.
Geöffnet ist die Kirche von 10 bis 18 Uhr. Zu den Stelen kommt man nur mit einer elektronischen Karte, die neben den Käufern auch Angehörige der Toten erhalten. Die Stelen sind nur so hoch, dass Angehörige auch die oberen Nischen mit den Händen erreichen können. Dadurch wirken sie optisch sehr harmonisch und elegant, das Material ist edel. Eine würdevolle Atmosphäre erfüllt den stillen Raum. Regelmäßig kämen Angehörige hierher, um Verstorbene zu besuchen, erzählt der Weihbischof. Blumen an den Stelen und Kerzen zeugen davon. Das Experiment des Erfurter Kolumbariums ist wohl rundum geglückt. Es entspricht nach Haukes Worten dem Anliegen von Christen, den Gedanken an Tod und Auferstehung für alle Bürger der Stadt wach zu halten. „Wir haben hier eine Kultur des Todes gestaltet“, sagt der Weihbischof und wirkt zufrieden.
Das Erfurter Kolumbarium im Internet
Hintergrund: Das Kolumbarium in Herz-Jesu, Hannover
Die Herz-Jesu-Kirche in Hannover-Misburg wird zurzeit zu einem Kolumbarium umgestaltet. Mit seiner Einweihung voraussichtlich am 20. Februar ist es in Norddeutschland die erste Urnenbegräbnisstätte in einer katholischen Kirche. Die Planung des Architektenbüros Klodwig&Partner aus Münster sieht vor, ein „Weizenfeld“ aus 880 Stelen in die Kirche zu bauen. Diese Stelen aus Bronzerohr werden 2,26 Meter hoch sein und einen Durchmesser von zehn Zentimetern haben. Jede soll eine bis zwei Ascheurnen aufnehmen können, also etwa 1.400 Urnenplätzen insgesamt. Die Umbaukosten liegen bei rund 500.000 Euro. Ein Urnenplatz für 20 Jahre soll durchschnittlich 3.000 Euro kosten. Im Kolumbarium „Herz Jesu“ kann jeder beigesetzt werden, der zu einer Kirche gehört, die Mitglied der „Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen“ (ACK) ist, außerdem Nichtchristen, die ein christliches Begräbnis wünschen. Die Idee, Herz Jesu zu einem Kolumbarium umzubauen, ist eine Frucht des „Pilotprojekt Hannover-Ost“, das der damalige Hildesheimer Bischof Dr. Josef Homeyer im Jahre 2002 angestoßen hatte und das 2007 beendet wurde. Ziel dieses Pilotprojektes war, neue Wege der Seelsorge in größeren pastoralen-Räumen zu erproben. Im Rahmen dieses Projektes hat eine Gruppe „Profilentwicklung“, bestehend aus Mitgliedern der „Pilot-Gemeinden“ die Idee entwickelt, die Herz-Jesu-Kirche zu einem seelsorglichen Schwerpunkt für Trauerbegleitung auszubauen und im Kirchenraum ein Kolumbarium zu errichten.