Drinnen ist eine gewaltige Kraft
Wort zu Ostern von Weihbischof Heinz-Günter Bongartz
Weihbischof Heinz-Günter Bongartz hat für die Leserinnen und Leser der Zeitungen ein Wort zu Ostern geschrieben. Sie können es auch hier lesen.
Liebe Leserin, liebe Leser,
heute am 9. April, an dem Tag, an dem ich diesen Artikel schreibe, jährt sich der 72. Todestag des großen evangelischen Theologen Dietrich Bonhoeffer, der durch das Nazi-Regime als politischer Häftling noch einen Monat vor Kriegsende hingerichtet wurde. Mit einigen Zeilen seiner Verlobten, Maria von Wedemeyer, die sie ihm am 11.4.1944 ins Gefängnis Tegel schickt, möchte ich dieses großen Mannes gedenken. Nach seiner Gefangenschaft am 5. April 1943 beginnt zwischen beiden, die sich erst kurze Zeit als Freunde verstehen, ein intensiver Briefwechsel, der in dem Buch „Brautbriefe. Zelle 92“ veröffentlich wurde.
In beeindruckender Weise erzählen diese Briefe von den Fragen und Antworten, den Sorgen und Hoffnungen in einer bedrängten und schrecklichen Zeit. Sie zeugen von einer ungewöhnlichen Liebesgeschichte. Die Briefe sind nicht zuletzt dadurch so bewegend, dass der Leser und die Leserin wissen, welchen Ausgang die Geschichte dieser beiden sich liebenden Menschen nimmt. Was mich dabei unendlich beeindruckt ist der Atem der Hoffnung und des Glaubens, der in diesen Briefen spürbar ist.
In einem Brief schreibt Maria von Wedemeyer einen Bericht über ihre Erfahrungen beim Ostergottesdienst:
„Mein liebster Dietrich! (...) So, das ist jetzt nicht etwa erst der 3. Bogen, den ich an Dich schreibe, sondern schon der 6. Immerzu hab ich versucht, Dir von Ostern zu erzählen, von der Gründonnerstagsmesse und der Feier der Todesstunde am Karfreitag, von der Predigt über die Höllenfahrt Christi und endlich von der Osternacht. Aber es gelingt mir einfach nicht. Ich kann es nur so von außen erzählen, dass mich selbst das Grauen ankommt, wenn ich es wieder lese und so will ich es Dir wirklich nicht sagen. Du siehst daran: es ist mir alles fremd und im tiefsten Grund unverstanden. Aber dass da eine gewaltige Kraft drinnen lebt, habe ich doch gespürt …“
(Brautbriefe Zelle 92, Dietrich Bonhoeffer Maria von Wedemeyer 1943-1945, hrsg. Von Ruth-Alice von Bismarck und Ulrich Kabitz, C.H. Beck, München 1994)
Wenn Sie diese Zeilen lesen, befinden wir uns kurz vor dem Osterfest. In der Osternacht wird die große Osterkerze in die Kirche getragen und verkündet: „Christus ist von den Toten erstanden!“. Das können viele Menschen nicht glauben. Sie fragen: Ist das möglich: dass das Tote zum Leben erwacht, dass das Erkaltete wieder lebendig wird?
Maria von Wedemeyer hat schon recht: was wir an Ostern behaupten, ist so überwältigend, dass wir sagen müssen: „es ist uns fremd und mit unserer menschlichen Vernunft im tiefsten Grund unverstanden.“ Es fehlen uns die Worte für ein Geheimnis, das allein mit der Logik der Sprache nicht einzufangen ist. Selbst wenn man das Gefühl beschreiben will, das uns in den feierlichen Gottesdiensten vielleicht ins Herz fällt, reichen sechs Bogen Schreibpapier nicht aus, um das Eigentliche zu treffen. Es braucht viel Zeit und manche (Um)wege, bis wir „erahnen“ und uns „einfühlen“, dass „drinnen“ in dem, was wir als das Zentrum unseres christlichen Glaubens verkünden, eine „gewaltige Kraft lebt“.
In dieser Suche, das Geheimnis von Ostern mit dem eigenen Leben zu bewohnen, will ich mich immer wieder erinnern: Es gibt und gab Menschen, die aus dieser Kraft leben und gelebt haben, auch dann noch, wenn alles bodenlos zu werden schien und man die Welt nicht mehr verstand. Es sind und es waren Menschen, deren Hoffnung auch in der Aussichtslosigkeit bis zum Himmel reichte. Die beiden, Dietrich Bonhoeffer und Maria von Wedemeyer, gehören für mich dazu.
Heinz-Günter Bongartz, Weihbischof in Hildesheim