Der Glaube wird anders wachsen
Jahresempfang des Katholischen Büros Niedersachsen
Bescheiden, ökumenisch und Anwältin für die Mühseligen und Beladenen: Dieses künftige Bild der Kirche hat Bischof Heiner Wilmer beim Jahresempfang des Katholischen Büros in Hannover gezeichnet.
Was hat ein Bischof heute noch zu sagen? Was suchen Menschen? Und: Sind die Kirchen heute noch nützlich? Diese drei Fragen ziehen sich durch den Vortrag von Bischof Dr. Heiner Wilmer beim Jahresempfang des Katholischen Büros in Hannover. Gut 200 Gäste aus Politik, Wirtschaft, Gewerkschaften und Religionsgemeinschaften sind vor Ort im Alten Rathaus in Hannover. Eine weitere Anzahl von Interessierten ist per Livestream zugeschaltet.
Für Wilmer sind die Zeiten vorbei als zum Beispiel ein Bischof von oben herab Ansagen machen konnte. Oder dass ein Hirte der Kirche über dem Gesetz steht. Mehr noch: „Ein Gebrauchtwagenhändler hat heute mehr Kredit als ein Bischof.“
Trotzdem seien Menschen heute mehr denn je auf der Suche – nach Halt und Orientierung: „Vielleicht nach Zeiten, in denen die Welt noch in Ordnung war oder es zumindest den Anschein hatte“, mutmaßt Wilmer. Ein Gefühl von Verlorenheit macht der Hildesheimer Bischof in der Gesellschaft aus. Die Corona-Pandemie und der Klimawandel verschärfen diese ohnehin schwierige Situation noch.
Gleichzeitig steht gerade die Katholische Kirche nach seinen Worten vor einem Scherbenhaufen: „Durch den Missbrauchsskandal haben wir massiv Vertrauen verspielt.“ Der Schutz der Institution, der Schutz der Täter stand über allem. Die Betroffenen dagegen kamen überhaupt nicht vor.
Wie können aber in einer solchen Situation die Kirchen sich noch als nützlich erweisen? Mut macht Wilmer das handfeste Anpacken von Christinnen und Christen während der Pandemie: „Engagierte Menschen waren erfinderisch und haben sich gekümmert.“ Gleichzeitig werde die Kirche noch als Brückenbauerin angefragt: Zum Beispiel, wenn zwischen unterschiedlichen Interessen bei ökologischen Notwendigkeiten und sozialen Folgen des Klimawandels vermittelt werden muss.
Nur: Die Kirche hat keinen Alleinvertretungsanspruch mehr. „Wir sind nur noch ein Anbieter von Sinn, neben anderen“, betont Wilmer: „Wir beherrschen nicht mehr die Gesellschaft.“ Die Zukunft der Kirche wird „bescheidener“ sein. Sie werde sich der Lebenswirklichkeit von Menschen stellen, Anwältin für die Mühseligen und Beladenen sein – „und sie wird dies ökumenisch tun.“
Zwar werde die Rolle der Kirche künftig kleiner: „Doch überall werden Christinnen und Christen aus dem Evangelium heraus Verantwortung übernehmen und die Gesellschaft mitgestalten.“ In seiner institutionellen Kirchlichkeit werde der Glauben abschmelzen, erläutert Wilmer: „Aber wachsen wird der Glaube in seiner biblischen Begründung und geistgewirkten Tradition.“
Dabei dürfen die Kirchen nicht ihre jüdischen Wurzeln vergessen: „Die Shoah zeigt, dass wir uns versündigt haben, das war eine Katastrophe.“ Für Wilmer liegt in der Erinnerung die Möglichkeit der Erlösung: „Wir können heute und morgen nur gut leben, wenn wir unser Gedächtnis nicht tilgen.“
„SOS“ – Save our souls – hat Wilmer seinen Vortrag überschrieben. Ein Rettungsruf aus der Seefahrt. Für Wilmer ein Rettungsruf aus und für die Kirche: „Es geht um nichts Geringeres als die Rettung unserer Seelen.“
Vor Wilmer haben der Vizepräsident des Landtages, Bernd Busemann, und Kultusminister Grant Hendrik Tonne auf die nach wie vor wichtige Rolle der Kirchen für die Weiterentwicklung der Gesellschaft hingewiesen. „Wichtige christliche Grundhaltungen sind allgemein geworden“, betont Busemann. Der biblische Leitsatz „Einer trage des anderen Last“ sei das Grundprinzip der Sozialpolitik geworden. Wenn aber die Kirchen nicht weiter christliche Werte einbringen, „dann fliegt eine Gesellschaft auseinander“.
„Demokratie, Frieden und Freiheit sind unglaublich große Geschenke“, stellt Kultusminister Tonne heraus. Der Einsatz für ihren Erhalt verbinde Staat, Kirche und Zivilgesellschaft. Es gelte, sich gemeinsam Spaltungstendenzen und Populismus entgegenzustellen. Das Werben für Zusammenhalt erfordere nach Einschätzung des Sozialdemokraten zweierlei – sowohl das gute Beispiel als auch das deutliche Wort gegen Unrecht und Ungerechtigkeit: „Dafür bin ich den Kirchen dankbar.“