Auslese oder Einerlei?
Bildungsexperten stritten beim Katholischen Forum Niedersachsen über Schulpolitik
Hannover (bph) Die gute Nachricht: Es gibt noch viel ungenutztes Bildungspotential. Die schlechte – wir nutzen es nicht. Darüber waren sich die Bildungsexperten einig beim hochkarätig besetzten Symposium „Bildung minus Gerechtigkeit“ am Donnerstagabend in der TUI AG Hannover. Das Katholische Forum Niedersachsen hatte eingeladen.
Die Probleme sind bekannt: Deutschland belegt in Bezug auf sein einst hoch gelobtes Bildungssystem im internationalen Vergleich nur einen Mittelplatz. Viele Jugendliche verlassen die Schule ohne einen Abschluss. Prof. Dr. Alf Zimmer, Rektor der Universität Regensburg, wies in der Diskussion, die von Matthias Drobinski von der Süddeutschen Zeitung geleitet wurde, auf einen oft übersehenen Aspekt der PISA-Studie hin: Deutschland hat eine der weltweit größten Spannbreiten bei den Ergebnissen. Einer großen Gruppe von Jugendlichen, die relativ schlecht abschnitten, stehen auch viele sehr gute Schüler gegenüber. In anderen Ländern dagegen sind die Ausschläge weniger stark, liegen die meisten Schüler in der Mitte.
Woran liegt das? Ist das dreigliedrige deutsche Schulsystem daran Schuld? Im Wesentlichen ja, stellte die Bildungsforscherin Prof. Dr. Jutta Allmendinger, Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin, in ihren Ausführungen dar. Sie wünscht sich weniger Auslese und dafür mehr Heterogenität in der Schule, zugleich aber auch mehr Konkurrenz zwischen den Schulen. Warum, so die Expertin, sammeln die Schulen Daten zu ihren Erfolgsquoten aber geben sie nicht preis? Erfahrungen aus England hätten gezeigt, „wenn die Schulen ihre Sitzenbleiber-Quoten veröffentlichen, dann halten die guten Schulen ihr Niveau und die schlechten Schulen werden besser!“
Konkurrenz und Wettbewerb muss PD Dr. Jörg-Dieter Wächter, Leiter der Hauptabteilung Bildung am Bischöflichen Generalvikariat Hildesheim, kaum fürchten. Die katholischen Schulen des Bistums werden von den Eltern gut nachgefragt. Auch deshalb, weil sie den Kindern ein geschlossenes bildungsnahes Umfeld bieten. Dazu tragen natürlich auch die Aufnahmegespräche bei, die die katholischen Schulleiter führen. „Wir schauen uns zum Beispiel an, wie die Kinder reden,“ sagte Wächter zum Entsetzen von Allmendinger: „Sie können doch nicht intelligente Kinder ausschließen, nur weil die zufällig in eine Familie geboren wurden, wo man Bildung nicht pflegt und wenig redet,“ empörte sich die Wissenschaftlerin.
Weniger Auslese wünscht sich Dr. Hans-Jürgen Marcus, Direktor des Diözesan-Caritasverbandes im Bistum Hildesheim. In seinen Augen ist es ein Skandal, dass man bei Hartz-IV-Empfängern über jeden Cent für die Kinder streitet, während andererseits wohlhabendere Eltern Milliarden von Euro für die Nachhilfe ihrer Kinder ausgeben. Nach seiner Ansicht fehlt die Möglichkeit, schief gelaufene Schulkarrieren nachbessern zu können. Marcus wünscht sich daher eine „Schule der zweiten Chance“ und eine frühere Förderung der Kinder und Jugendlichen – und an dieser Stelle waren die Diskutanten dann wieder einer Meinung.