Auferstehung am Domhof
Grabungen des Bistums Hildesheim legen mittelalterlichen Friedhof frei
Hildesheim (bph) Wer heute über die malerische Grünanlage vor dem Dom spaziert, ahnt wohl nicht, dass er gerade einen mittelalterlichen Friedhof betritt. Rund ein Dutzend Leichen hat Archäologe Thomas Lessig-Weller bei seinen Sondierungsgrabungen im Auftrag des Bistums mit seinen Mitarbeitern bislang gefunden. Die eigentlich gesuchte Mauer des Dombezirks hält sich bei den Untersuchungen des Bistums aber versteckt.
Fast zärtlich putzt Ilka Müller (Name auf Wunsch geändert) das Schambein eines Unbekannten, seine Wirbelknochen liegen schon fein säuberlich in Reihe. Die Hildesheimer Künstlerin gehört zum Grabungsteam, das im Auftrag von Diözesankonservator Prof. Dr. Karl Bernhard Kruse den „Sondierungsschnitt“, wie die Grube fachmännisch heißt, auf der Wiese am Domhof voran treibt. Seit Juni hat das Team in der 28 Meter langen und 1,80 Meter breiten Grube etwa zwölf Leichen gefunden. Die losen Knochen werden gesammelt und in einer Werkstatt im Bischöflichen Generalvikariat von Ilka Müller gesäubert und dann archiviert. „Als ich den ersten Schädel reinigen musste, war das etwas unangenehm“, bekennt die Hildesheimer Künstlerin, „aber mit der Zeit gewöhnt man sich daran.“ Bevor die Knochen aber auf ihrem Tisch landen, hat Ilka Müller sie mit feinem Strich so aufgezeichnet, wie sie beim Graben gefunden wurden. Auch die einzelnen Grabungsschichten wurden mit bunten Farben auf Papier gebannt. Aus diesen Dokumenten können Wissenschaftler jederzeit rekonstruieren, welcher Knochen an welcher Stelle lag.
Zwölf Männer, Frauen und Kinder haben Grabungsleiter Lessig-Weller und seine Mannschaft dem geschichtsträchtigen Boden schon entwunden, alle mit dem Kopf nach Westen. „Damals ließen sich die Menschen so begraben, damit sie bei der Auferstehung am Jüngsten Tag gleich nach Osten schauen können,“ erklärt Lessig-Weller. Das unterschiedliche Alter der Begrabenen widerlegt eine Vermutung aus früheren Grabungen, wonach es sich um verdiente Kämpfer des Bischofs gehandelt haben soll. „Wahrscheinlich war dies hier ein Friedhof für jedermann“, vermutet der Grabungsleiter. Bei der Datierung will sich der Experte nicht festlegen. Spätes Mittelalter dürfte es wohl sein. Auch die Universität Hildesheim hat sich der sterblichen Überreste angenommen. Am dortigen Institut für Biologie und Chemie werden einige Knochen untersucht. Neben dem Geschlecht will man unter anderem auch den Ernährungszustand der Verstorbenen klären.
Ende Juli sollen von der Universität zudem zwei Studentinnen kommen und bei den Arbeiten helfen. Bislang schaufeln sich neben Leiter Lessig-Weller und Zeichnerin Müller fünf Hilfskräfte durch die Schichten, die vom Arbeitsamt vermittelt wurden. Außerdem kann Archäologe Lessig-Weller auf Brigitte Engelhardt zurück greifen. Die Hildesheimer Hausfrau hat sich ehrenamtlich in den spannenden Dienst an der Geschichte gestellt und schürft mit der Maurerkelle vorsichtig nach Fundstücken jeder Art. „Diese Arbeit hier fasziniert mich,“ strahlt Brigitte Engelhardt. Und das trotz des schlechten Wetters!
Ende August ist Schicht im Grabungsschacht. Bis dahin will der Grabungsleiter den Sondierungsschnitt auf ganzer Länge in etwa zwei Meter Tiefe vorgetrieben haben. Dort zeigt sich der gewachsene Lehmboden, auf dem die ersten Siedlungen gebaut wurden. Die gesamte Dokumentation wandert dann zur Auswertung in das Bischöfliche Generalvikariat und ein großer Teil der Knochen wird vermutlich auf einem Friedhof ein zweites Mal beerdigt. Wie groß der einstige Friedhof am Domhof war und ob zwischen Dom und Bischofshaus doch noch irgendwo die Fundamente der gesuchten Dombezirksmauer liegen – darüber wird dann vermutlich erst einmal wieder Gras wachsen.