"Auf, lasst uns gehen!"
Diözesanadministrator Weihbischof Hans-Georg Koitz würdigt Johannes Paul II.
Die Kirche von Hildesheim trauert. Papst Johannes Paul II. ist tot. Mit unglaublicher Willenskraft hat er in den letzten Jahren gegen seine gesundheitliche Schwäche angekämpft. Bis zuletzt füllte ihn sein Amt aus. Nun hat ihn Christus zu sich gerufen.
Am 16. Oktober 1978 wurde der damalige Kardinal Karol Wojtyla auf den Stuhl Petri gewählt, als erster Nichtitaliener seit über 400 Jahren und als erster Pole überhaupt. Über 26 Jahren dauerte sein Pontifikat. Er hat das Amt des Papstes in einer Weise geprägt wie kaum einer vor ihm.
Unvergessen sind seine mehr als 100 Auslandsreisen. Nie ist er nur als Oberhaupt der Kirche gekommen, sondern als Zeuge des Evangeliums und als Pilger. Bis in den letzten Winkel der Welt verkündete er das Evangelium. Sein Zeugnis hat Millionen von Menschen erreicht und ihnen vor allem in den armen Ländern dieser Erde Kraft und Hoffnung gegeben.
Auf seinen Reisen sprach er oft soziale Fragen an. Er wolle, sagte er einmal über sich selbst, "die Stimme der Stummen" sein. Er nahm Partei für den leidenden Menschen. Dabei stand er mit großer innerer Freiheit gegen jede Ideologie auf, gleichermaßen gegen den Kommunismus wie gegen einen ausufernden Kapitalismus und Konsumismus.
Sein Eintreten für die Opfer fand einen Höhepunkt in seinem vehementen Protest gegen den Krieg, vor allem gegen die beiden Irak-Kriege 1991 und 2003. Man hat ihn einmal "den letzten großen Rebell gegen die herrschenden Verhältnisse" genannt.
Johannes Paul II. kannte keine Scheu vor Öffentlichkeit. Er war ein Meister im Umgang mit den Medien, präsent in allen Zeitungen und Fernsehsendern. Das trug wesentlich zur Wirksamkeit seines Zeugnisses bei. 1994 kürte ihn das US-Magazin "Time" zum "Mann des Jahres".
Nicht nur auf der Bühne der Weltpolitik trat Johannes Paul II. für die Heiligkeit des Lebens ein. Er forderte eine "Kultur des Lebens" in allen Bereichen. Sterbehilfe und Abtreibung gehörten für ihn zu einer "Kultur des Todes". Den deutschen Katholiken ist vor allem seine unbeugsame Aufforderung an die deutschen Bischöfe in Erinnerung, das staatliche System der Schwangerenkonfliktberatung zu verlassen.
Kein anderer Papst hat mehr Heilig- und Seligsprechungen vorgenommen als Johannes Paul II. Er wollte der Kirche Vorbilder des Glaubens vor Augen stellen, überzeugt, dass ihr Leben der kraftvollste Beweis für die Wahrheit des Evangeliums von Jesus Christus ist.
Dieses Evangelium wollte der Papst vor allem den Jugendlichen nahe bringen. "Habt keine Angst", rief er ihnen oft zu. Je älter er wurde, desto näher schien er ihnen zu sein, und desto mehr schienen sie ihn zu lieben. Zu den Weltjugendtagen, die er ins Leben rief, kamen Millionen.
Johannes Paul II. war der erste Papst, der eine protestantische Kirche, der erste, der eine Synagoge, und der erste, der eine Moschee besuchte. Berührungsängste kannte er nicht. Bei aller Klarheit im Bekenntnis der katholischen Kirche suchte er stets zuerst eher das Verbindende als das Trennende. Für Aufsehen sorgte seine Einladung an Religionsvertreter aus aller Welt, am 27. Oktober 1986 zum Gebet für den Frieden nach Assisi zu kommen.
In den Pontifikat Johannes Pauls II. fiel die Jahrtausendwende. 2000 Jahre nach Christi Geburt Anlass für Freude und Dankbarkeit, aber für den Papst auch Anlass zum Schuldbekenntnis. Große Beachtung fand am 12. März 2000 sein Mea Culpa für die Verfehlungen der Kirche wie Glaubenskriege, Judenverfolgungen und Inquisition.
Die schärften Kritiker von Johannes Paul II. kamen aus der Kirche. Sie werfen ihm vor, den Aufbruch des 2. Vatikanischen Konzils nicht energisch genug voran getrieben, ja gebremst zu haben. Er sei theologisch eng und kirchenpolitisch konservativ, starrköpfig statt dialogbereit. Die Auseinandersetzungen um den richtigen Weg der Kirche werden weiter gehen. Sein Nachfolger wird sich ihnen stellen müssen.
Wer war Johannes Paul II. als Mensch? Er war zuerst ein Glaubender. Eine tiefe, nahezu mystische Frömmigkeit war seine unerschöpfliche Kraftquelle. Seine Verwurzelung in Christus und seine Verbundenheit mit Maria, der Gottesmutter, schenkten ihm Freiheit, Gelassenheit und Stärke. Diese Freiheit strahlte nach außen.
Seit er am 13. Mai 1981 auf dem Petersplatz das Attentat Ali Agcas knapp überlebte, begann seine körperliche Kraft zu schwinden. Seine innere Stärke ist dadurch nur gewachsen. Er vertraute sein Schicksal und sein Amt Christus an, dessen Ruf ihn zum Nachfolger Petri machte. Ihm allein und damit der Kirche wollte er dienen.
Einem seiner letzten Bücher gab Johannes Paul II. als Titel ein Zitat aus dem Markusevangelium: "Auf, lasst uns gehen!". Im Vorwort schreibt er: "Mit dem Blick auf Christus gerichtet und gestützt auf die Hoffnung, die nicht zugrunde gehen lässt, wollen wir gemeinsam auf den Wegen des neuen Jahrtausends voranschreiten. Das ist sein Vermächtnis an uns. Ihm hat nun Christus zugerufen: "Auf, lass uns gehen!"
Die Gläubigen im Bistum Hildesheim danken Johannes Paul II., und sie danken Gott, dass er seiner Kirche diesen Papst geschenkt hat.
Hildesheim, den 2. April 2005
Weihbischof Hans-Georg Koitz
Diözesanadministrator im Bistum Hildesheim