Zwölf Tage Bolivien – und ein anderes Bild vom Bischof
Rüdiger Wala, Mitglied der Bolivien-Kommission und Redakteur der Kirchenzeitung des Bistums, begleitete Norbert Trelle im Sommer 2016 während seiner Reise in das südamerikanische Partnerland der Diözese. Ein Bericht über besondere Momente mit dem Bischof, 10 000 Kilometer von der Heimat entfernt
Die Anweisung ist klar: „Passen Sie gut auf meinen Bruder auf.“ Es ist ein ganz normaler Vormittag auf dem Domhof in Hildesheim. Na ja, nicht ganz normal. Große Gepäckstücke stehen um das bischöfliche Dienstfahrzeug. Ein Koffer von Bischof Norbert Trelle, ein weiterer von mir. Vor uns liegt das, was sich prosaisch ein langer Ritt nennt. Gewissermaßen von einem Bischofshaus zum anderen. Nur dass dazwischen 10000 Kilometer Luftlinie liegen. Von Hildesheim ins bolivianische Sucre. Wie sich herausstellt, eine Reisezeit von 24 Stunden und 37 Minuten. Einmal hin und einmal zurück. Verbunden mit der Bitte der Zwillingsschwester von Bischof Norbert ...
„Ich habe nichts Vergleichbares erlebt“
Zwischen Bahnfahrten nach Frankfurt/Main und Flügen über Madrid und Santa Cruz liegen zwölf Tage in einem Land, das für die Diözese Hildesheim eine besondere Bedeutung hat: Seit 30 Jahren sind die Kirche von Bolivien und das Bistum in einer Partnerschaft miteinander verbunden. Die Betonung liegt auf Partnerschaft, auf Augenhöhe – nicht auf reiche Deutsche und arme Bolivianer. Sondern auf: Wie geht es euch? Was können wir füreinander tun? Und immer wieder fällt ein Satz: „Ich habe in meiner Zeit als Bischof nichts Vergleichbares erlebt, das so viel Engagement freigesetzt hat wie die Bolivienpartnerschaft.“ Das ist freundlich und ernst zugleich gemeint. So klingt Freundschaft: Mit einem Land, mit seinen Menschen.
Es ist eine Dienstreise: An manchen Tagen jagt ein Termin den anderen. Gespräche mit Amtsbrüdern, mit Kommissionen, mit Universitätsleitungen, mit der deutschen Botschaft, mit der Caritas, mit Stiftungen. Mit zwei Inlandsflügen, mit langen Auto- und Busfahrten. Und fast immer auf Höhen, die über dem Niveau der Zugspitze liegen. Nur zwei der gut 40 Termine sagt Bischof Norbert ab. Die Müdigkeit erwischt irgendwann jeden.
Der Bischof muss Worte abwägen – und vor allem, die richtigen finden. Das ist nicht immer leicht. Mit großen Augen berichten Zehn- und Zwölfjährige, warum und wie sie als Kinder in Potosí arbeiten müssen – in der Hotelküche, auf dem Bau, auf dem Friedhof. Nur so kommen sie und ihre Familien über die Runden, nur so können sie zusätzlich die Schule besuchen. Sie bitten Bischof Norbert um seinen Segen. Er spendet ihn – und in seiner Stimme liegt Rührung. Auch das ist Dienst – und mehr: Der Besuch eines Bergwerkes. Das Werk ist kaum mehr als ein in den Fels gehauener Tunnel. Aus dem 16. Jahrhundert. Schlag für Schlag. Der Tunnel zwingt zum Kriechgang. Nach wenigen Metern stockdunkel, die Luft ist stickig, die Arbeitsbedingungen miserabel, die Auswirkungen für die Umwelt katastrophal. Schattenseiten. Auch das gehört zur Partnerschaft.
Aber es liegen zudem Momente dazwischen, denen man das Wort „privat“, ja sogar „freundschaftlich“ attestieren könnte: Das Bier in der Flughafenkneipe, lange gewartet, schnell getrunken. Der Kaffee nach elf Stunden Flug, Lebensgeister weckend. Gemeinsame Mahlzeiten nach langen Tagen, zum Reden über die Erlebnisse, die Kopfschütteln verursachen – oder Rührung. Lachen über Dinge, die schiefgehen. Staunen über Rinderhälften im Kofferraum eines Überlandbusses, die geschmackliche und esstechnische Herausforderung von Lamafleisch (der Autor dieser Zeilen, bekennender Veggie, hatte Rührei!), die Verheißung guten Kaffees angesichts der Patina auf einer Espressokanne in der kleinen Küche der Niederlassung eines italienischen Frauenordens im Altiplano.
Treten, um Kaffeebohnen zu schälen
Die Liste dieser Momente wird länger als die der Diensttermine, weit länger: Die gemeinsame Kurzatmigkeit auf 3500 Metern und acht Stockwerken über uns. Der Sauerstoffschock bei zwei Tagen auf 1800 Metern Höhe in tropischer Pracht. Die Buckelpisten im Urwald. Die Muskelkraft in den Beinen, um durch ein umfunktioniertes Fahrrad Kaffeebohnen zu schälen. Die Mütze aus dem Dino-Park, die zum ständigen Begleiter wird. Der Geschmack von Koka- Blättern. Die fast schon kindliche Freude bei der Fahrt in der Seilbahn – ein öffentliches Verkehrsmittel in der Millionenmetropole La Paz. Die Ratschläge für Mitbringsel für die Lieben daheim – gegenseitig. Die verloren geglaubten Dinge, die wundersam wieder auftauchen.
Und ja – auch wenn mache Phrasen so ausgefranst sind wie alte Hausschuhe, von denen man sich nicht trennen will – die langen und offenen Gespräche. In dünner Luft und nach langen Tagen wird nicht mehr jedes Wort auf die feinjustierte Goldwaage im Kopf gelegt. Das verbindet – und ändert das Bild eines Bischofs.