Denkenden Gehorsam üben
Katholisches Forum Niedersachsen beschäftigte sich mit „Richtergenerationen“
Hildesheim/Celle (bph) Was ist ein Richter und was soll er eigentlich? Recht auslegen? Recht machen? Oder soll er ganz einfach nur die Dinge richten? Diesen für unsere Rechtsordnung so fundamentalen Fragen widmete sich am Dienstagnachmittag, 28. Juni, das V. Juristenforum Celle des Katholischen Forums Niedersachsen. „Richtergenerationen. Gesellschaftliche Performanzen eines Berufs“, so das Thema, zu dem sich rund 165 hochrangige Juristen in das Celler Kunstmuseum locken ließen.
Auch Richter sind nur Menschen. Dieser an sich banale Satz bekommt eine besondere Bedeutung angesichts der Macht, die sie oft über das Schicksal anderer Menschen haben. Vor diesem Hintergrund wird viel zu wenig über Richter an sich, über ihre Herkunft und Einstellungen geforscht, bedauerte Prof. Dr. Wolfgang Spellbrink, Richter am Bundessozialgericht Kassel, in einem sehr informativen Einführungsvortrag. Einiges immerhin weiß man, und das ist höchst interessant. Als widerlegt darf gelten, was man noch in den 60er Jahren glaubte: dass alle Richter aus der Oberschicht stammen und ein „Oberschichtenrecht“ sprächen. Heute jedenfalls ist der Richterberuf nach Spellbrinks eigenen Erhebungen ein Aufstiegsberuf, der auch jungen Menschen aus der Unter- und Mittelschicht offen steht. Außerdem zeigt sich die Justiz nach dem Eindruck des Bundessozialrichters viel zu inhomogen, um eine „Klassenjustiz“ zu bilden, und: „Der Richterberuf wird immer weiblicher und ist tendenziell zum Frauenberuf geworden“.
Spellbrink wartete in Celle mit einer ganz eigenen These auf: Die Richter unserer Tage seien zur Projektionsfläche gesellschaftlicher Erwartungen geworden. Wann immer die Politik nicht weiter weiß, wo immer gesellschaftliche Probleme auftreten: „Der Richter soll es richten“ – und ist damit überfordert. Mit welcher inneren Grundhaltung soll ein Richter dann aber seines Amtes walten? Rechttechniker dürfen sie nach Spellbrinks Wunsch nicht sein, das Recht nicht wie Automaten anwenden, aber auch nicht als „Richterkönige“ selbst Recht setzen wollen. „Ein guter Richter muss Radbruchianer sein“, erklärte er in Anspielung an den Rechtsphilosophen Gustav Radbruch, „er soll denkenden Gehorsam zeigen“, also das Recht getreu auslegen, dabei aber das Denken nicht vergessen.
Im Gespräch mit Generalbundesanwältin Prof. Monika Harms und dem Sozialforscher Prof. Dr. Berthold Vogel entspann sich ein munteres Gespräch, das sich recht bald um den momentanen Zustand des Rechtswesens in Deutschland drehte. Harms setzte hier einige irritierende pessimistische Akzente mit ihrem Hinweis, heutige Juristen hätten oftmals ein schlechtes Sprachverständnis und seien nicht mehr umfassend gebildet. „Die sehr guten Absolventen gehen in die Wirtschaft, die schlechten werden Anwalt, wir bekommen im Justizdienst die recht guten Mädchen“, ergänzte sie. Außerdem sieht die Generalbundesanwältin einen schleichenden Verlust an Respekt vor dem Recht. Schließlich überwogen aber doch die versöhnlichen Gedanken an diesem heißen Nachmittag. Immerhin, so hatte Soziologe Vogel eingeworfen, gelten Richter als ausgesprochen zufrieden mit ihrem Beruf. Trotz hohen Arbeitsdrucks und hoher gesellschaftlicher Erwartungen ist die Möglichkeit, Gerechtigkeit zu üben, wohl doch ein starker Motivator.
Das Katholische Forum Niedersachsen wurde 2002 durch die Bischöfe von Hildesheim und Osnabrück sowie den Bischöflichen Offizial in Vechta gegründet. Es will in den Bereichen der Gesellschafts- und Sozialpolitik sowie Bildungspolitik katholische Positionen diskutieren und wendet sich dabei in seinen Veranstaltungen an Entscheidungsträger und Fachleute. Die Zahl der Anmeldungen beim Celler Juristenforum steigt seit Jahren und erreichte mit 165 einen neuen Höchststand. Es ist damit das größte kirchliche Juristenforum in Norddeutschland. Neben den Präsidenten der niedersächsischen Oberlandesgerichte waren auch der Präsident des Landessozialgerichts sowie Repräsentanten von Polizei und Landesregierung in Celle vertreten.